Entgeltdiskriminierung: „Mädchenschule“ weniger wert?

Der Fall des Monats beschäftigt sich mit Gender Pay Gap und Entgeltsdiskriminierung beim Zugang zu Bildung. Kann hier das Gleichbehandlungsgesetz schutz bieten?

Vorfall und Beratung

Frau M. absolviert in den 1990er Jahren eine HBLA (Höhere Bundeslehranstalt für wirtschaftliche Berufe; Heute HLW – Höhere Lehranstalten für wirtschaftliche Berufe) und steigt wenige Jahre später bei einem Medienunternehmen als Sekretärin ein. Bei ihrem Einstieg werden ihr unter Berufung auf den Kollektivvertrag (KV) keine Vordienstzeiten angerechnet. Dieser enthält einen Katalog von anrechenbaren Studien, der zwar HTL (Höhere technische Lehranstalten) und HAK (Handelsakademien) enthält, nicht aber HBLA. Weiters sieht der KV vor, dass Ausbildungszeiten vor dem 19. Geburtstag nicht anzurechnen sind.

Im Jahr 2015 spricht der Oberste Gerichtshof (OGH) aus, dass Altersgrenzen bei der Anrechnung von Vordienstzeiten eine Altersdiskriminierung darstellen (9 ObA 84/15s vom 26.11.2015). Aufgrund dieser Entscheidung fordert Frau M.s Arbeitgeber alle Beschäftigten dazu auf, einschlägige Vordienstzeiten vor dem 19. Geburtstag bekanntzugeben. Als Frau M. dies tut, wird ihr jedoch gesagt, Studienzeiten an HBLA seien nicht anrechenbar, da sie im Katalog des KV nicht enthalten sind.

Frau M. fühlt sich aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert: Sie versteht nicht, warum sie von der Anrechnung ausgeschlossen wird und vermutet, dass es mit der Geringschätzung einer „typisch weiblichen“ Ausbildung zu tun hat. Sie wendet sich daher an die Gleichbehandlungsanwaltschaft (GAW). Auch diese erachtet die Bestimmung als diskriminierend: HBLA/HLW sind den HAK und HTL als berufsbildende höhere Schulen (BHS) gleichzusetzen. Die Ausbildung ist zudem einschlägig für den damals von Frau M. ausgeübten Beruf der Sekretärin. Da HBLA/HLW lange als „Mädchenschulen“ galten und fast ausschließlich weibliche Absolvent:innen hatten, führt ihre Nicht-Anrechnung zu einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts.

Die GAW verfasst ein Interventionsschreiben an Frau M.s Arbeitgeber und fordert ihn zur Stellungnahme und zur nachträglichen Anrechnung der Ausbildungszeiten auf. Er rechnet die Zeiten nicht an und bringt in der Stellungnahme keine sachliche Rechtfertigung vor. Daher stellt die GAW einen Antrag bei der Gleichbehandlungskommission (GBK).

Diese prüft den Fall und kommt zu dem Ergebnis, dass eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts beim Entgelt vorliegt. Daraufhin schließt Frau M. einen Vergleich mit ihrem Arbeitgeber, der eine Schadenersatzzahlung sowie die Anrechnung von fast vier zusätzlichen Vordienstjahren und damit eine Vorrückung in die nächste Gehaltsstufe enthält.

Rechtliche Hintergründe

Der Entgelt-Begriff des Gleichbehandlungsgesetzes (GlBG) ist weit zu verstehen und umfasst auch die Anrechnung von Ausbildungs- und Vordienstzeiten (Vgl OGH 9 ObA 84/15s vom 26.11.2015). Das ist ein Aspekt der Gehaltsfindung, der zunächst unproblematisch erscheint: Entweder hat man_frau einschlägige Erfahrung gesammelt, oder nicht. Jedoch zeigt die Beratungserfahrung, dass hier häufig Diskriminierungen stattfinden: Oft wird der Berufs- und Ausbildungserfahrung von Frauen nicht die gleiche Bedeutung zugemessen wie jener von Männern. Frauen wird dabei unbewusst weniger Kompetenz zugeschrieben, was sich sogar auf eine geringere Bewertung ihrer Ausbildung niederschlägt.

Bei den genannten Schulformen HAK, HBLA/HLW und HTL handelt es sich um berufsbildende höhere Schulen (BHS) im Sinne des zum Zeitpunkt des KV-Abschlusses geltenden Schulorganisationsgesetzes. Sie sind bezüglich ihrer Ausbildungsdauer (fünf Jahre) und ihres Abschlusses (Reifeprüfung) gleichwertig. Sie unterscheiden sich nur durch die jeweilige fachliche Spezialisierung. Ein Unterschied bei der Anrechnung wäre demnach nur aufgrund der Einschlägigkeit für die ausgeübte Tätigkeit zulässig. Das Übergehen des Schultyps im KV war nicht sachlich begründet.

Die Absolvent_innen von HBLA/HLW waren und sind zum überwältigenden Großteil weiblich: Im Schuljahr 1990/91, in dem Frau M. ihre Reifeprüfung absolvierte, waren 97,6 % der HBLA-Schüler:innen weiblich. Und auch im Schuljahr 2019/20 waren es noch 86,4 % (Vgl Statistik Austria, Schülerinnen und Schüler im Schuljahr 2019/20 nach Geschlecht), HBLA/HLW waren auch lange Zeit reine Mädchenschulen: Erst im Jahr 1987 wurden sie von „Höhere Lehranstalten für wirtschaftliche Frauenberufe“ in „Höhere Lehranstalten für wirtschaftliche Berufe“ umbenannt. Zum Schuleintritt von Frau M. waren sie also noch reine Mädchenschulen.

Im Fall von Frau M. wurden diese Schulen im KV „vergessen“: Der Katalog der Vordienstzeitenanrechnung stammte bereits aus den 1960er Jahren und war von einem KV in den nächsten übernommen worden, zuletzt in den 1990ern. In den 2000ern wurde die Anrechnung von Vordienstzeiten im KV stark reduziert, was zu einem Wegfall der Anrechnung aller BHS-Studienzeiten führte.

Fazit

Der Fall zeigt, wie weit die Geringschätzung von „typisch weiblichen“ Erwerbsbiographien gehen konnte und kann. Und dass nach wie vor KV-Bestimmungen in Geltung sein können, die recht augenscheinlich diskriminierend sind.

Allerdings wurde die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts erst deutlich sichtbar, als die Altersdiskriminierung aufgrund der Rechtsprechung weggefallen war. Es handelte sich also um eine intersektionelle Diskriminierung aufgrund des Alters und des Geschlechts, die darin resultierte, dass Frau M. im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen, bzw. Kolleg:innen, die andere BHS besucht hatten, einen weiteren Weg zum Recht gehen musste.

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