Job in Aussicht, aber Weg zur Ausbildung versperrt: Muslimische Kindergartenassistentin wehrt sich erfolgreich
Einer Kindergartenassistentin wird wegen ihres muslimischen Kopftuchs ein Ausbildungsplatz verweigert. Die junge Frau bekämpft diese Diskriminierung erfolgreich mit einer gerichtlichen Klage und bekommt Schadenersatz zugesprochen. Das Urteil klärt wichtige Rechtsfragen.
Vorfall: Intersektionelle Diskriminierung einer muslimischen Frau beim Zugang zur Berufsausbildung
Frau F hat bereits ein Jahr Berufserfahrung als Kindergartenassistentin gesammelt. Die Arbeit mit Kindern liegt ihr und sie kann sich eine berufliche Zukunft in diesem Feld gut vorstellen. Auch ihre Arbeitgeber:innen sind sehr zufrieden und stellen Frau F eine Anstellung als Kindergruppenbetreuerin in Aussicht. Als Voraussetzung dafür wird der Abschluss eines Lehrgangs vereinbart.
Um sich weiterzubilden, bewirbt sich Frau F bei einem privaten Anbieter auf einen Ausbildungsplatz für einen Lehrgang für Kindergruppenbetreuer:innen. Das Bewerbungsverfahren ist mehrstufig. Vorab gibt es ein Vorbereitungsgespräch, gefolgt von einer schriftlichen Prüfung und einem persönlichen Informationsgespräch. Nach der positiven Prüfung wird abschließend ein Bewerbungsgespräch mit den Kandidat:innen geführt, das über die Aufnahme entscheidet.
Im Informationsgespräch nach der schriftlichen Prüfung wird die Bewerbung von Frau F aufgrund ihrer Berufserfahrung und ihrer Qualifikationen als sehr aussichtsreich eingeschätzt. In diesem Gespräch wird die junge Frau aber darauf aufmerksam gemacht, dass sie ihre Aufnahmechancen erhöhen würde, wenn sie ihr Kopftuch nach hinten bindet. Das überrascht Frau F zwar, aber sie möchte ihre Aufnahme in die Ausbildung nicht gefährden.
Sie verknotet deswegen vor dem Bewerbungsgespräch ihren Hijab im Nacken. Bereits im Flur wird sie jedoch von der pädagogischen Lehrgangsleitung rau in Empfang genommen und aufgefordert, sich ihr Kopftuch „gleich ganz auszuziehen“. Eingeschüchtert nimmt sie dieses ab. Das Bewerbungsgespräch verläuft sehr unangenehm für die Kandidatin. Anstatt über ihre Qualifikationen und ihre Motivation für diesen Berufswunsch zu sprechen, kreist das Interview fast ausschließlich um ihr Kopftuch und es werden ihr penetrante Fragen gestellt. Beispielsweise wird sie gefragt, ob sie bei einem Ausflug auch bereit wäre, eine Haube zu tragen, was sie bejaht. Sie wird gefragt, ob ihr bewusst sei, warum ihr Kopftuch in der täglichen Arbeit mit Kindern „ein Problem sei“. Als sie nach einer Erklärung dafür fragt, werden ihr pädagogische Gründe genannt. Mimik und Gesten müssten für Kinder eindeutig erkennbar sein. Auch ihre Deutschkenntnisse werden angesprochen, obwohl Frau F ihre gesamte Schullaufbahn in Österreich absolviert hat. Das Gespräch eskaliert weiter, als die Lehrgangsleitung das Tragen des Kopftuchs als schädigendes Verhalten gegenüber Kindern darstellt, indem sie es mit Verhalten wie Rauchen oder Alkoholkonsum vor Kindern gleichgesetzt.
Mehrfache Versuche von Frau F, das Gespräch in konstruktive Bahnen zu lenken, scheitern. Aufgrund des hohen Drucks, der im Gespräch auf sie ausgeübt wird, ist die Bewerberin stark verunsichert. Sie kann deswegen auf die letzte Frage des Interviews nicht mehr locker reagieren und das Gespräch wird daraufhin abrupt beendet.
Bereits eine Stunde nach dem Bewerbungsgespräch bekommt Frau F eine Absage. Es wird nicht ausgeführt, warum sie den Ausbildungsplatz nicht bekommen hat.
Rechtliche Hintergründe
Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Religion und der ethnischen Zugehörigkeit
Das Gleichbehandlungsgesetz schützt vor Diskriminierungen im Zusammenhang mit Berufsausbildungen, auch wenn diese außerhalb eines Arbeitsverhältnisses angeboten werden (§ 4 Z 1 bzw. § 18 Z 1 GlBG). Menschen dürfen laut GlBG außerdem unter anderem nicht aufgrund ihres Geschlechts, ihrer ethnischen Zugehörigkeit und ihrer Religion diskriminiert werden. In diesem Fall ist das Zusammenspiel dieser drei Komponenten ausschlaggebend für die Diskriminierung. Denn die Bewerberin wurde als Frau muslimischen Glaubens, die ein Kopftuch trägt, vom Ausbildungsanbieter offenkundig als „fremd“ wahrgenommen und ihr äußerliches Auftreten als problematisch beurteilt. Die Gleichbehandlungsanwaltschaft spricht in diesem Zusammenhang von intersektioneller Diskriminierung. Damit ist gemeint, dass das Zusammenspiel mehrerer Faktoren ausschlaggebend für die erlebte Diskriminierung ist.
Von der Gleichbehandlungskommission bis zur erfolgreichen Klage
Als Frau F den Ausbildungsplatz nicht bekommt, wendet sie sich an die Gleichbehandlungsanwaltschaft. Sie vermutet nämlich, dass sie aufgrund ihres sichtbaren Auftretens als muslimische Frau abgelehnt worden ist.
Mit Unterstützung einer Gleichbehandlungsanwältin versucht Frau F zuerst eine Einigung mit dem Ausbildungsanbieter zu erzielen. Sie fordert eine Entschuldigung und Schadenersatz, darauf geht die Gegenseite aber nicht ein. Schließlich reicht sie einen Antrag bei der Gleichbehandlungskommission ein.
Die zuständigen Personen, die das Bewerbungsverfahren für den Lehrgang begleitet haben, beharren in ihren Stellungnahmen darauf, dass das Verfahren objektiv und diskriminierungsfrei geführt worden sei. Die Gründe für die Ablehnung seien die mangelnden Qualifikationen der Bewerberin gewesen. Sie hätte im Bewerbungsgespräch nicht ausreichend Deutschkenntnisse gehabt und „kaum eine verständliche Antwort geben können“. Infolgedessen müsse ihre Eignung für die Ausbildung und für den Umgang mit Kindern bezweifelt werden. Außerdem wurden der Kandidatin „emotionale Unreife“ und „Unsachlichkeit“ im Gespräch vorgeworfen, sowie mangelnde Bereitschaft zur Selbstreflektion. Diese seien wichtige Voraussetzungen für die Ausbildung und für den Beruf.
Die Fragen nach dem Kopftuch seien, laut Aussagen der Mitarbeiter:innen des Ausbildungsanbieters, Teil eines standardisierten Verfahrens. Es gehe darum, dass Kinder Emotionen und Stimmungen der Personen erkennen sollen, und das solle mit dieser Frage vermittelt werden. Es gehe also nicht grundsätzlich darum, Personen wegen des Kopftuchs aus dem Lehrgang auszuschließen. Außerdem würden die Mitarbeiter:innen des Ausbildungsanbieters bei allen Bewerber:innen, die sichtbare äußerliche Merkmale tragen, testen, ob diese bereit wären „von dem abzurücken, was ihnen wichtig ist“. Um dies zu verdeutlichen, werden Piercings, lange Fingernägel und unpassendes Schuhwerk genannt, die bei anderen Kandidat:innen Thema gewesen seien.
Frau F hat ihre gesamte Schulzeit mit exzellenten Noten in Österreich absolviert, insofern ist die Zuschreibung mangelhafter Deutschkenntnisse haltlos. Auch hat Frau F im persönlichen Gespräch nach dem schriftlichen Test sehr positive Rückmeldungen bekommen. Etwaige Sprachprobleme wurden darin nicht thematisiert. Da Frau F außerdem nach einjähriger Tätigkeit als Kindergartenassistentin eine Stelle als Kindergruppenbetreuerin in Aussicht hatte, gibt es für dieses Argument keine sachliche Grundlage. Die Abqualifizierung und Emotionalisierung von migrantisierten und rassisierten Personen[i] seitens Arbeitgeber:innen und Ausbildungsanbieter:innen ist ein Muster, das die Gleichbehandlungsanwaltschaft jedoch häufig in diesen Fallkonstellationen beobachtet (siehe dazu auch Fall des Monats März 2023).
Die fehlende Standardisierung der Bewerbungsfragen war in diesem Fall für die Gleichbehandlungskommission offensichtlich. Denn Interviewfragen dieser Art wurden nur an Personen mit sichtbaren äußerlichen Zeichen adressiert. Die genannten Beispiele, die sich auf Schmuck und Fingernägel beziehen, sind eine willkürliche Aufzählung, die mit der Bedeutung des Kopftuchs in keiner Weise vergleichbar sind. Insbesondere das wiederholte Fragen nach dem Kopftuch zeigt, dass offensichtlich diskriminierende Motive für die negative Entscheidung ausschlaggebend waren.
Die Gleichbehandlungskommission stellte daher eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und der Religion fest. Im Gespräch ging es nämlich vordergründig um das sichtbare Auftreten von Frau F als muslimische Frau. Außerdem wurde eine Diskriminierung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit festgestellt, da die Fragen nach ihren Deutschkenntnissen im Bewerbungsverfahren ungerechtfertigt waren.
Obwohl laut Prüfungsergebnis die Diskriminierung gegeben war, beharrte die Gegenseite auf ihrer Position und Frau F konnte keinen Vergleich schließen. Sie entschloss sich daher dazu, eine gerichtliche Klage einzubringen. Da die Gleichbehandlungsanwaltschaft derzeit noch keine Klagsrechte hat, wurde Frau F von der Gleichbehandlungsanwältin an die Dokumentationsstelle Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus weiterverwiesen, die Mitgliederorganisation des Klagsverbands ist. Der Klagsverband ist eine Nichtregierungsorganisation, die die Opfer von Diskriminierung unterstützt, zu ihrem Recht zu kommen. Gemeinsam mit diesen Organisationen hat Frau F die Klage erfolgreich durchgefochten und bekam 2.000 Euro Schadenersatz zugesprochen.
Großer Beitrag für mehr Rechtssicherheit: Die wichtigsten Takeaways
Frau F gewann die Klage und hat damit wesentlich zur gerichtlichen Klärung wichtiger Rechtsfragen beigetragen (Berufungsurteil 34 R 19-23f als Download PDF, 2,85 MB). Das ist ein großer Erfolg, weil Formen der Diskriminierung, die sich gegen kopftuchtragende muslimische Frauen richten, häufig vorkommen. In der täglichen Arbeit der Gleichbehandlungsanwaltschaft sind sie eine sehr relevante Fallgruppe.
- 74% der Anfragen, die von der Gleichbehandlungsanwaltschaft zum Diskriminierungsgrund Religion betreut werden, betreffen Personen muslimischen Glaubens. Auffällig ist, dass sich davon 90% auf Diskriminierungserfahrungen von muslimischen Frauen beziehen. Umso wichtiger ist es, dass in diesem Gerichtsurteil der Zusammenhang zwischen Religion und Geschlecht so klar erkannt wird.
- Große Teile der existierenden Judikatur beziehen sich auf Diskriminierungen im Zusammenhang mit Bewerbungen für Jobs. Für den Geltungsbereich der Ausbildungen gibt es hingegen deutlich weniger Rechtssicherheit. Deswegen schließt dieses Urteil eine wichtige Lücke und schafft Klarheit.
- Das Urteil stellt fest: Das Diskriminierungsverbot gilt auch für den Zugang zu Ausbildungen. Der diskriminierungsfreie Zugang zu Ausbildungen ist wichtig, weil qualifizierende Ausbildungen ermöglichen, qualifizierte Tätigkeiten auszuüben. Mit diesem Urteil wird daher indirekt auch mehr Rechtssicherheit für den beruflichen Aufstieg gewährleistet.
- Das Urteil stell auch klar: Penetrantes und wiederholendes Fragen nach dem muslimischen Kopftuch sind ein Indiz für Diskriminierung und nicht zulässig. Gerade das wiederholte Fragen zeigt, dass nicht die Motivation und Qualifikation der Bewerberin entscheidend für die Beurteilung der Bewerbung waren. Viel vordergründiger waren die äußerliche Erscheinung der Kandidatin und die damit verbundenen diskriminierenden Zuschreibungen. Diese Diskriminierung hat offenkundig dazu geführt, dass Frau F keinen Ausbildungsplatz bekommen hat.
- In der Rechtsprechung setzt sich die Anerkennung des Zusammenwirkens von Religion und Geschlecht bei Diskriminierungen, die muslimische Frauen betreffen, zunehmend durch. Das ist aus Sicht der Gleichbehandlungsanwaltschaft eine sehr begrüßenswerte Entwicklung. Es handelt sich aber nach Sicht der GAW bei solchen Diskriminierungen um antimuslimischen Rassismus und es ist daher sehr wichtig, dass das Zusammenspiel von Geschlecht und Religion mit ethnischer Zugehörigkeit in der Rechtsprechung anerkannt wird. Es braucht mehr rechtliche Anerkennung von Intersektionalität in der Judikatur.
- Für Anbieter:innen von Ausbildungen zeigt dieser Fall, wie wichtig standardisierte, faire und diskriminierungsfreie Bewerbungsverfahren sind. Ähnlich wie bei Bewerbungsprozessen für Jobs stellen entsprechende Standards sicher, dass es sowohl für Anbieter:innen wie auch für Bewerber:innen mehr Transparenz und Sicherheit gibt.
[i] Mit „migrantisiert“ und „rassisiert“ sind rassistische Zugehörigkeitskonstruktionen gemeint, die Menschen durch Zuschreibungen als „fremd“ und „nicht der Gesellschaft zugehörig“ abwerten und ausgrenzen.