Misgendering am Telefon: Betroffene wehrt sich erfolgreich gegen Dienstleistungsunternehmen

Die Angestellte eines Inkassobüros bezweifelt während eines Telefonats die Geschlechtsidentität einer Kundin und verhält sich abwertend. Die Gleichbehandlungskommission gibt der Kundin Recht und bestätigt den Vorfall als geschlechtsbezogene Belästigung.

Vorfall: Geschlechtsidentität einer Kundin wird im Telefonat nicht ernst genommen

Frau L ließ zu Frühlingsbeginn forstwirtschaftliche Arbeiten auf ihren Grundstücken durchführen. Aufgrund einer Erkrankung kam sie in Zahlungsverzug für die in Anspruch genommene Dienstleistung und wurde von einem Inkassobüro kontaktiert. Während des Telefonats wurde Frau L von der Mitarbeiterin des Inkassobüros abwertend auf ihre Geschlechtsidentität angesprochen. Der Mitarbeiterin lagen jedoch die Daten von Frau L vor, darin war die Kundin explizit als „Frau L“ vermerkt. Trotzdem hinterfragte die Mitarbeiterin mehrmals, ob Frau L „wirklich Frau L“ sei, und entgegnete auf die bejahende Bestätigung der Klientin sinngemäß, dass sie „jemand anderen pflanzen“ solle. Offenbar bezweifelte die Angestellte die Geschlechtsidentität von Frau L aufgrund der Stimme. Trotz mehrfacher Richtigstellung von Frau L sprach sie diese im Gespräch weiterhin als „Herr L“ an. Frau L fühlte sich nach dem Telefonat gekränkt und in ihrer Würde verletzt. Sie wendete sich an die Gleichbehandlungsanwaltschaft.

Rechtliche Hintergründe

Diskriminierungsschutz beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen: Geschlecht umfasst auch Geschlechtsidentität

Das Gleichbehandlungsgesetz verbietet Diskriminierung aufgrund des Geschlechts beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen (§ 31 GlBG). Dieses Diskriminierungsverbot umfasst auch die Geschlechtsidentität.

Die Geschlechtsidentität bezieht sich auf die persönliche innere Vorstellung und Erfahrung einer Person in Bezug auf ihr Geschlecht, unabhängig davon, welches Geschlecht ihr bei der Geburt zugewiesen wurde. Sie ist von Art 8 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention), dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, gedeckt. Das Verbot, aufgrund des Geschlechts diskriminiert zu werden, gilt unabhängig davon, ob eine Person sich etwa als männlich, weiblich oder nicht-binär identifiziert, intergeschlechtlich ist und ob sich ihre Geschlechtsidentität im Laufe ihres Lebens geändert hat.

Geschlechtsbezogene Belästigungen sind nach dem Gleichbehandlungsgesetz verboten (§ 35 GlBG). Es handelt sich bei solchen Belästigungen um abwertende, unerwünschte Äußerungen oder Handlungen, die etwa auf das Geschlecht, die Geschlechtsidentität, die Geschlechterrolle oder den Familienstand bezogen sind. Darunter können verbale und schriftliche Äußerungen, aber auch non-verbale Gesten fallen, die ein feindseliges Umfeld schaffen und dazu führen, dass die betroffene Person sich verletzt fühlt. Es besteht nach dem Gleichbehandlungsgesetz Anspruch auf Schadenersatz (§ 38 Abs 2 GlBG).

Erfolgreicher Antrag bei der Gleichbehandlungskommission: Misgendering von Kundin wird als geschlechtsbezogene Belästigung eingestuft

Zunächst versuchte Frau L mit Unterstützung der Gleichbehandlungsanwaltschaft direkt beim Inkassobüro zu intervenieren. Ziel war es, eine einvernehmliche Lösung für die entstandene Würdeverletzung zu finden.

Das Inkassobüro behauptete jedoch zunächst, dass die Mitarbeitenden zu einem früheren Zeitpunkt mit einem „Herrn L“ in Kontakt gewesen seien, um einen Rückzahlungsvorschlag zu vereinbaren. Die Angestellten hätten angenommen, dass es sich im Gespräch um den Ehepartner oder Bruder von Frau L handle.

Tatsächlich hat Frau L jedoch weder Bruder noch Ehepartner und hatte zu keinem Zeitpunkt Telefonate in dieser Angelegenheit an Dritte übertragen. Es wurde seitens des Inkassobüros offenkundig verabsäumt, die Identität der Gesprächspartnerin während des Telefonats sachgemäß festzustellen. Obwohl die Klientin in einem weiteren Telefonat ihre Geschlechtsidentität mehrfach richtigstellte, wurde sie weiterhin nicht ernst genommen.

In einem weiteren Schreiben stritt das Unternehmen die Vorsätzlichkeit der falschen Anrede während des Telefonats ab. Der Vorsatz ist für den Tatbestand der Belästigung jedoch unerheblich. Bei einer Belästigung geht es nämlich um die Intensität der Handlung und darum, ob die betroffene Person sich dadurch verletzt fühlt und inwiefern diese Handlung objektiv als Würdeverletzung nachvollzogen werden kann.

Auf Wunsch der Klientin brachte die Gleichbehandlungsanwaltschaft einen Antrag bei der Gleichbehandlungskommission ein. Im Prüfungsergebnis wurde das Telefonat als geschlechtsbezogene Belästigung bestätigt. Es besteht Anspruch auf Schadenersatz.

Rechtsgutachten der JKU zum Fall: Misgendering als Würdeverletzung im Fokus

Zu diesem wichtigen Fall ist die Gleichbehandlungsanwaltschaft auch eine Kooperation mit der Johannes Kepler Universität Linz eingegangen. Daraus ist ein Rechtsgutachten des Instituts für Legal Gender Studies hervorgegangen. In diesem Gutachten wird u.a. die entstandene Würdeverletzung durch Misgendering anhand dieses Falles sehr aufschlussreich aufgearbeitet. Das Gutachten verdeutlicht, dass die Persönlichkeit ein anerkannter Grundwert ist und diese vor Eingriffen anderer Privatpersonen geschützt werden soll (Gruber, Kraher und Stachl 2024: 12). Insbesondere die „geschlechtliche Identität eines Menschen (ist) ein besonders sensibler Bereich des Privatlebens einer Person“ (ibid.) und durch Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützt. Auch die Stimme ist diesem Persönlichkeitsrecht zuzuordnen, weil sie ein wichtiges Medium des Ausdrucks und der Kommunikation mit der Umwelt ist (ibid.).

Indem die Mitarbeiterin des Inkassobüros eine Annahme darüber trifft, wie „eine weibliche Stimme zu klingen hat“ und die Geschlechtsidentität von Frau L nicht ernst nimmt, verletzt sie dadurch „die selbstbestimmte Entscheidung von Frau L, sich einem Geschlecht zuzuordnen“ (Gruber, Kraher und Stachl 2024: 9) und damit auch das Persönlichkeitsrecht von Frau L.

Das Gutachten arbeitet auch aus, dass gerade bei der Aushandlung einer Zahlungsvereinbarung zwischen einem Inkassobüro und einer säumigen Kundin ein Machtgefälle besteht. Etwa hat die Mitarbeiterin des Inkassobüros den Ermessensspielraum, entgegenkommende oder weniger entgegenkommende Ratenzahlungen zu vereinbaren. Obwohl die Geschlechtsidentität der Kundin für die Forderungseintreibung komplett unerheblich ist, hat die Mitarbeiterin gerade diese nicht ernst genommen und mehrfach abfällig kommentiert. Es handelt sich deshalb um ein Gespräch, das nicht auf Augenhöhe stattgefunden hat. In diesem Zusammenhang wiegt die Würdeverletzung der Kundin deutlich schwerer (Gruber, Kraher und Stachl 2024: 13).

Fazit: Misgendering erstmals auch beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen als geschlechtsbezogene Diskriminierung bestätigt

Es handelt sich um das erste Prüfungsergebnis der Gleichbehandlungskommission, in der die Missachtung der Geschlechtsidentität (Misgendering) im Geltungsbereich Teil III des Gleichbehandlungsgesetzes als Belästigung anerkannt wird. Das ist ein wichtiger Meilenstein für den geschlechtsbezogenen Diskriminierungsschutz beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen.

Der Fall zeigt auf, dass obwohl es sich um ein einmaliges Telefonat handelt, der Tatbestand der Belästigung aufgrund der wiederholten, abwertenden Bezugnahme auf die Geschlechtsidentität von Frau L erfüllt ist. Es ist zudem unerheblich, ob die Mitarbeiterin des Inkassobüros Frau L hören, aber nicht sehen konnte. Die Mitarbeiterin des Inkassobüros hat innerhalb dieses sensiblen Settings und ungleichen Machtgefüges aufgrund der Stimmlage von Frau L eine falsche Annahme über das Geschlecht der Kundin getroffen. Auf die mehrmaligen Richtigstellungen von Frau L reagierte die Mitarbeiterin abfällig. Damit wurde das Persönlichkeitsrecht von Frau L verletzt, sich selbstbestimmt einem Geschlecht zuzuordnen.

Weiterführende Informationen

Hier geht es zum Rechtsgutachten der JKU Linz:

Gruber, Stefan/ Kraher, Katharina/ Stachl, Dana (2024): Kurzgutachten Misgendering. Diskriminierung aufgrund des Geschlechts beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen? JKU Institut für Legal Gender Studies.

Hier geht es zum Prüfungsergebnis der Gleichbehandlungskommission:

https://www.bundeskanzleramt.gv.at/dam/jcr:e17da1ef-d90b-4113-9174-863b05c2a84c/GBK_III_317_23.pdf.