Verbot der Benachteiligung wegen Care-Arbeit – ein Schritt in Richtung Gleichstellung?
Mit 1. November 2023 wurde die Vereinbarkeitsrichtlinie der EU in Österreich umgesetzt. Die Gleichbehandlungsanwaltschaft fasst zusammen, welche Gesetzesänderungen dies tatsächlich mit sich bringt und welche Chancen genutzt werden hätten können.
In Österreich sind die Bereiche Kindererziehung und Pflege von Angehörigen traditionell Frauen zugeordnet. Das zeigt sich nicht nur anhand der Zahlen, wer wie lang Karenz in Anspruch nimmt, sondern setzt sich fort bei der Teilzeitbeschäftigung und schließlich bei der Pflege von Angehörigen im Familienkreis.
Dass vor allem Frauen diese unbezahlte, anstrengende Arbeit auf sich nehmen, hat aber weitreichende Folgen: Frauen sind in Führungsebenen weniger vertreten, sie erhalten für gleiche Jobs weniger Lohn (sie sind ja „Zuverdienerinnen“), und sie haben durch die Teilzeitarbeit ihr Leben lang weniger Verdienst – und ja, auch Altersarmut ist weiblich1 (vgl. Statistik Austria).
Die Europäische Union (EU) sieht diese ungleiche Wahrnehmung von unbezahlter und wenig anerkannter Arbeit seit vielen Jahren kritisch und so wurden bereits einige Richtlinien – also europäische Gesetze – beschlossen, die zum Ziel hatten, hier Änderungen herbeizuführen. Denn Gleichstellung von Frauen und Männern hat sehr viel damit zu tun, erwartete Rollenvorstellungen aufzubrechen und Chancengerechtigkeit herzustellen – und für diese Chancengerechtigkeit muss die Politik nicht nur die nötigen gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen, sondern durch diese Gesetze auch klar in eine Richtung weisen.
Im Jahr 2019 wurde die sogenannte „Vereinbarkeitsrichtlinie“ beschlossen. Sie hat zum Ziel, Arbeitsmarktchancen für Menschen, die Kinder und/oder Angehörige betreuen, zu verbessern und ihnen mehr Rechte einzuräumen. Für Österreich ist vor allem neu, dass Arbeitnehmer:innen von den Arbeitgeber:innen schriftliche Begründungen dafür verlangen können, wenn diese Anträge auf Teilzeit (sei es zur Pflege oder in Bezug auf Rechte nach dem Mutterschutz- oder Väterkarenzgesetz) ablehnen. Ebenso sind Kündigungen, die im Zusammenhang mit Pflegefreistellungen oder nach Ende der Elternteilzeit ausgesprochen werden, auf Verlangen schriftlich zu begründen. Nicht zuletzt war auch Ziel der EU, dass die Karenzzeit zwischen Frauen und Männern fairer aufgeteilt wird – als Vorbild haben hier wohl die nordischen Staaten gedient.
Was geschieht in Österreich?
Seit Anfang November hat Österreich diese Richtlinie nun in mehreren Gesetzen umgesetzt2. Es kam zum Beispiel zu Änderungen bei der Dauer der Karenz, der Elternteilzeit und der Inanspruchnahme von Pflegefreistellung3. Im Gleichbehandlungsgesetz gibt es nun ein direktes Verbot der Benachteiligung im Zusammenhang mit Betreuung und Pflege, die ungleiche Verteilung dieser Arbeit wurde als Gleichstellungsthema in § 2 GlBG explizit ausgeführt.
Aber: Die Richtlinie wurde nicht nur verspätet umgesetzt, sondern es wurden auch viele Chancen vertan. Ihr Inhalt wurde nicht auf breiter Ebene besprochen, um eine möglichst effiziente und zielorientierte Umsetzung zu erreichen und die gesellschaftliche Aufmerksamkeit auf das Thema zu richten. Es wäre Anlass gewesen, einen Veränderungsprozess einzuleiten und Arbeit in der Familie auch durch gesetzliche Maßnahmen fairer zu verteilen. So legt die Richtlinie als Mindestanforderung fest, dass ein Anteil der Karenz von zumindest zwei Monaten nicht übertragen werden darf. Dies wäre das Eingangstor dafür gewesen, an den Rahmenbedingungen für die Aufteilung der Karenz zwischen Müttern und Vätern zu arbeiten. Je höher der Anteil ist, der nicht übertragen werden kann, desto mehr sind Väter dazu angehalten, nicht nur Juli und August Karenz zu nehmen, sondern einen signifikanten Teil der Verantwortung zu übernehmen. Gleichzeitig würde es Arbeitgeber:innen schwerer fallen, Väter unter Druck zu setzen, möglichst keine Karenz in Anspruch zu nehmen. Mit der nun geltenden Regelung sind die zwei Monate auf Jahre hinaus einzementiert, denn meistens macht Österreich in punkto Gleichstellung nur dann Schritte vorwärts, wenn es muss, was meistens durch die EU-Gesetzgebung geschieht.
Die Gleichbehandlungsanwaltschaft wurde in den Gesetzgebungsprozess offiziell gar nicht eingebunden und konnte ihre Anliegen nur im Hintergrund einbringen. Herausgekommen dabei ist nun eine Fülle von kleineren Änderungen, der große Wurf in Richtung Gleichstellung blieb aus.
Welche Fälle und Anfragen kamen schon zu uns?
Wir haben uns seit dem 1.11.2023, als die Änderung im GlBG wirksam wurde, mit folgenden Anfragen befasst:
Ein Vater, der am Bau arbeitet und zunächst einen längeren Krankenstand hatte, nimmt kurz danach Pflegefreistellung für seine Tochter in Anspruch. Daraufhin wird er – mit direkter Bezugnahme auf seine Betreuungstätigkeit – gekündigt. Die GAW hat in diesem Fall bereits einen Antrag bei der Gleichbehandlungskommission eingebracht und sich dabei auf den neuen § 5a GlBG berufen.
In einem weiteren Fall geht es um eine Pflegehospizteilzeit, welche von einer Frau für ihr schwerkrankes Kind in Anspruch genommen wird. Im Rahmen der Ausbildung, die von der Frau gerade absolviert wird, sucht sie um eine Anpassung der Diensteinteilung für das Praktikum an. Von der verantwortlichen Person wird ihr aber entgegengehalten, dass sie „ihre Bedürfnisse“ dem Ausbildungsplatz unterzuordnen hat. Die GAW hat die Betroffene über ihre Rechte und Möglichkeiten aufgeklärt, sie möchte zunächst selbst versuchen, eine Einigung zu erreichen.
Ein Ausblick
Anfragen im Zusammenhang mit der Karenz und Elternteilzeit waren in den letzten Jahren die zweithäufigsten, wenn es um das Thema Geschlecht ging. Durch die neue Gesetzesbestimmung wird vor allem klar, dass die Betreuungsarbeit in der Familie eng mit dem Thema der Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft verknüpft ist. Es braucht hier nicht nur mehr Flexibilität in Unternehmensabläufen (z.B. Führung in Teilzeit, flexible Arbeitszeiten, Karenzmanagement), sondern auch vor allem das Selbstverständnis, dass für die Betreuung von Kindern und Angehörigen Männer genauso verantwortlich sind.
Wir hoffen, dass die nun im Gesetz vorgenommenen Änderungen Bewusstsein dafür schaffen, dass Care-Arbeit nicht Frauensache ist und insbesondere das Diskriminierungsverbot im Zusammenhang mit Betreuung und Pflege diese Entwicklung unterstützt.
Quellen und Verweise
1 Statistik Austria. (2023). Gender Statistiken. https://www.statistik.at/statistiken/bevoelkerung-und-soziales/gender-statistiken
2 Die Umsetzung erfolgte im Mutterschutzgesetz, im Väterkarenzgesetz, im Angestelltengesetz, im ABGB, im AVRAG, im ArbVG und im GlBG. (vgl. RIS - BGBLA_2023_I_115 - Bundesgesetzblatt authentisch ab 2004 (bka.gv.at))
3 Siehe dazu beispielweise die Informationen der Arbeiterkammer zu den Neuerungen.
Zur Autorin des Blogeintrags
Mag.a Cornelia Amon-Konrath ist stellvertretende Leiterin der Gleichbehandlungsanwaltschaft (GAW) und zuständig für die Leitung der Beratungsstandards und -strategien der GAW. Als Expertin im Bereich Geschlechterdiskriminierung in der Arbeitswelt ist sie eine der wichtigsten Ansprechpartner:innen bezüglich Vereinbarkeit von Beruf und Familie innerhalb der GAW.