Wo kein:e Kläger:in, da kein:e Richter:in
Wie würde sich ein Verbandsklagerecht auf die Arbeit der Gleichbehandlungsanwaltschaft auswirken? Unser Blog-Beitrag diskutiert die Thematik.
Die Gleichbehandlungsanwaltschaft (GAW) fordert seit Jahren die Einführung eines Verbandsklagerechts, um Diskriminierung nachhaltig vor Gericht zu bekämpfen. Mit der Befugnis, im öffentlichen Interesse, im eigenen oder im Namen von Betroffenen, Prozesse vor Gericht zu führen, könnte die Gleichbehandlungsanwaltschaft, als zentrale und staatlich eingerichtete Gleichbehandlungsstelle, die Einhaltung des Gleichbehandlungsgesetzes (GlBG) auch auf dem Klagsweg durchsetzen.
Die Kernaufgabe der GAW ist es, Personen, die sich im Sinne des Gleichbehandlungsgesetzes diskriminiert fühlen, zu beraten und zu unterstützen. Wenn keine gütliche Einigung etwa durch Intervention der GAW erreicht werden kann, begleitet die GAW Betroffene im Verfahren vor der Gleichbehandlungskommission (GBK). Das leicht zugängliche und kostenlose Schlichtungsverfahren vor der GBK ist auf die Feststellung von Diskriminierungen ausgerichtet. Die Prüfungsergebnisse sind zwar rechtlich unverbindlich, können aber ebenfalls eine große Rolle bei der Herbeiführung außergerichtlicher Einigungen zwischen Parteien spielen. Zudem kann die Feststellung einer Diskriminierung in manchen Fällen ebenfalls wesentlich für die Betroffenen sein. Die GBK kann hier auch Vorschläge zur Verbesserung an die Verantwortlichen erteilen. Nichts desto trotz sind die Mittel nicht für alle Fälle, die an die GAW herangetragen werden, effektiv und wirksam.
Diskriminierung vor Gericht bringen
Die Notwendigkeit eines Verbandsklagerechts für die GAW zeigt sich etwa beim rassistischen Einlassverbot für Araber:innen in einem Kärntner Restaurant, das aktuell hohe Wellen geschlagen hat. In einem Posting auf Instagram gab der Wirt des Restaurants bekannt, dass er sein Lokal in Zukunft nur noch für „Stammgäste und Einheimische“ aufsperre und „Araber" von der Bewirtschaftung "ausgeschlossen" seien. Laut GlBG ist es klar verboten, Personen auf Grund der ethnischen Zugehörigkeit den Lokaleintritt zu verweigern. Die diskriminierende Praxis des verantwortlichen Wirtes stellt somit eindeutig einen Gesetzesverstoß dar. Die GAW hat dazu medial Stellung bezogen und verantwortliche Stakehoder:innen zu Gesprächen aufgefordert.
Gerade dieser Fall zeigt, dass solche Diskriminierungen effektiv nur mit einem Verbandsklagerecht bekämpft werden könnten. Derzeit können Personen nach erfolgter Diskriminierung beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen Schadenersatzanspruch geltend machen. Nach dem öffentlichen Ausschluss von Araber:innen durch die getätigten rassistischen Aussagen wird es jedoch kaum betroffene Personen geben, die die Dienstleistung trotzdem in Anspruch nehmen und sich so absichtlich einer diskriminierenden und entwürdigenden Behandlung aussetzen, um in weiterer Folge den Diskriminierungsfall vor Gericht oder die GBK zu bringen und Schadenersatz zu fordern. Zudem müsste bei jedem Besuch neuerlich geklagt werden, wenn das Restaurant die diskriminierende Praxis trotzdem fortführt. Der Rechtsschutz von Betroffenen kann in Fällen wie diesen mit den der GAW zur Verfügung stehenden Mitteln nicht hinreichend gewährt werden.
Mit einem Verbandsklagerecht, das auf Unterlassung gerichtet ist, könnte die GAW die gegenständliche Diskriminierung und Würdeverletzung nachhaltig vor Gericht bekämpfen, ohne dass ein konkreter Rechtsanspruch eines Individuums vorliegen müsste. Der Wirt würde auf diesem Weg durch ein Gerichtsurteil dazu verpflichtet werden, das diskriminierende Verhalten zu unterlassen.
Das ist nichts Neues: auch andere Gleichbehandlungsstellen in Europa verfügen bereits über Verbandsklagerechte
In der Entscheidung zur Rechtssache C-57/07 (EuGH vom 10.07.2008, C-57/07, Zentrum für Chancengleichheit und für die Bekämpfung des Rassismus gegen Feryn) stellte der Europäische Gerichtshof (EuGH) fest, dass eine unmittelbare Diskriminierung auch ohne eine identifizierbare beschwerte Person vorliegen kann. Das Verfahren vor dem EuGH betraf einen Arbeitgeber, der öffentlich bekannt gab, er stelle keine Arbeitnehmer:innen mit „fremder Herkunft“ ein. Der EuGH führte in seiner Entscheidung aus, dass allein die öffentliche Äußerung von Arbeitgeber:innenseite, dass keine Arbeitnehmer:innen einer bestimmten ethnischen Herkunft eingestellt werden würden, eine unmittelbare Diskriminierung im Sinne der europäischen Gleichbehandlungsrichtlinie (Richtlinie 2000/43/EG) begründet. Solche Äußerungen könnten bestimmte Bewerber:innen ernsthaft davon abhalten, ihre Bewerbungen einzureichen und damit ihren Zugang zum Arbeitsmarkt behindern.
Das Verfahren wurde von einer Belgischen Gleichbehandlungsstelle eingeleitet, die über ein Verbandsklagerecht verfügt und damit ein Verfahren zur Prüfung einer Diskriminierung auch ohne konkrete Betroffene führen kann.
Zugang zum Recht stärken
Die Möglichkeit, im öffentlichen Interesse und ohne dass ein konkreter Rechtsanspruch eines Individuums vorliegen muss Verstöße gegen das GlBG vor Gericht zu bringen, ist ein Wesenselement von Verbandsklagen. Insbesondere bei Diskriminierungen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen würde durch ein Verbandsklagerecht der GAW der Rechtsschutz wesentlich ausgebaut werden. Gerade in diesem Bereich zeigt die Praxis, dass zum Teil ganze Branchen etwa gleichbehandlungsgesetzwidrige Preise vorsehen. Betroffene können bei geschlechtsspezifisch diskriminierenden Eintrittspreisen, Friseurleistungen und dergleichen Schadenersatz einklagen, die Unternehmen ändern aber ihre Preispolitik aber nicht.
Der hohe Klagsaufwand und ein geringer zu erwartender Schadenersatz, viele offene Rechtsfragen aufgrund fehlender Judikatur und ein damit verbundenes hohes Prozessrisiko sind Hindernisse, die Betroffene davon abhalten ihre Rechte durchzusetzen.
Ein auf Unterlassung gerichtetes Verbandsklagerecht der GAW würde für Einzelpersonen den Zugang zur Justiz erleichtern und durch strategische Klagen gezielte Judikatur erwirken, die für mehr Rechtsklarheit und -sicherheit für alle sorgen würde. In einem vorgelagerten Abmahnungsverfahren könnten Unternehmen außerdem die Möglichkeit gegeben werden, weitere Klagen zu verhindern, indem sie unverzüglich einen gesetzeskonformen Zustand herstellen.
Neben dem Verbandsklagerecht sollte die GAWvor allem auch für Fälle in der Arbeitswelt Klagsrechte erhalten. Aktuell kann die GAW eine Feststellungsklage gegen die für die Diskriminierung Verantwortlichen führen, wenn die GBK bei einem von der GAW eingebrachten Antrag keine Diskriminierung feststellt. Diese Klagsführung sollte dringend auf Anträge, die nicht von der GAW eingebracht wurden und auf Unzuständigkeitsentscheidungen der GBK ausgeweitet werden.
Die GAW fordert außerdem das Klagsrecht nach § 54 ASGG (Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz), um Fallkonstellationen in der Arbeitswelt aufgreifen zu können, die mehrere Personen und diskriminierende Strukturen betreffen, wie etwa im Bereich Entgelt- oder Altersdiskriminierung (Sozialpläne). Dadurch könnten Rechtsfragen mit größerem Zusammenhang direkt vor den Obersten Gerichtshof gebracht werden.
Auch der Ausbau im Verwaltungsstrafverfahren ist dringend geboten. Die GAW fordert eine Verbesserung der Möglichkeiten, diskriminierende Stellen- und Wohnungsinserate im Verwaltungsstrafverfahren zu verfolgen. Es muss zur Klärung von Rechtsfragen ein Rechtszug der GAW an den Verwaltungsgerichtshof (VwGH) gewährleistet werden.
Belästigungen und Diskriminierungen die im öffentlichen Raum stattfinden, können derzeit nach dem Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen (EGVG) angezeigt werden. Aktuell gilt das EGVG allerdings nur für rassistische, religionsfeindliche und gegen Menschen mit Behinderung gerichtete Belästigungen. Art III Abs 1 Z3 EGVG sollte daher auf alle Diskriminierungsgründe ausgeweitet werden. Zur effektiven Rechtsverfolgung sollte der GAW außerdem ein Antragsrecht mit einem Rechtszug zum VwGH übertragen werden.
Prozessführungsbefugnisse als EU-weiter Standard für Gleichbehandlungsstellen
Nicht nur die GAW fordert Klagsrechte. Auch die Europäische Kommission betont in ihren Richtlinienvorschlägen für Standards der Gleichbehandlungsstellen die Wichtigkeit von umfassenden Prozessführungsbefugnissen. Damit Gleichbehandlungsstellen effektiv gegen Diskriminierung kämpfen können, sollen sie, auch aus Sicht der Europäischen Kommission, Klagsrechte erhalten. Einige Stellen wie etwa die belgische oder schwedische Gleichbehandlungsstelle verfügen bereits über diese. Auch in Österreich wurde die Behindertenanwaltschaft bereits mit Verbandsklagerechten zur Durchsetzung angemessener Vorkehrungen ausgestattet.
Ein Verbandsklagerecht der GAW, sowie ein ausreichendes Klagsbudget würde Betroffenen effektiven Rechtsschutz gewähren und für mehr Rechtsklarheit und -sicherheit für alle sorgen. Das wäre ein wesentlicher Beitrag zur Stärkung einer diskriminierungsfreien Gesellschaft und Herbeiführung eines sozialen Wandels.
Weiterführende Links:
• EuGH vom 10.07.2008, C-57/07, Zentrum für Chancengleichheit und für die Bekämpfung des Rassismus gegen Feryn
• Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7.12.2022, COM/2022/688 final
• Vorschlag für eine Richtlinie des Rates vom 7.12.2022, COM/2022/689 final