„Man braucht viel Geduld, man braucht viel Mut das zu schaffen. Ich habe da schon etwas Großes erreicht“, sagt Frau F, die sich in einem Gerichtsverfahren erfolgreich gegen Diskriminierung gewehrt hat
Keinen Ausbildungsplatz wegen des muslimischen Kopftuchs bekommen? Das ist rechtlich nicht zulässig. Die Gleichbehandlungsanwaltschaft hat bei der erfolgreichen Klägerin nachgefragt, was man aus ihrer Sicht braucht, um sich gegen diese Diskriminierung zu wehren und was sie sich aus der Erfahrung mitnimmt.
2018 hat Frau F erstmalig die Gleichbehandlungsanwaltschaft kontaktiert, als ihre Bewerbung für einen Ausbildungsplatz als Kinderbetreuerin abgelehnt worden war. Mit Unterstützung ihrer Familie, der Dokumentations- und Beratungsstelle Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus und des Klagsverbands hat Frau F einen wichtigen Meilenstein erreicht, der künftig vielen Menschen mehr Rechtssicherheit bietet. Die Gleichbehandlungsanwaltschaft hat bei Frau F nachgefragt, was man aus ihrer Sicht braucht, um sich gegen Diskriminierungen zu wehren und was sie sich aus der Erfahrung mitnimmt. Wir danken der Klägerin sehr, dass sie für dieses Interview bereit war.
Urteil klärt: Diskriminierungsverbot gilt auch bei Zugang zu Ausbildungen
Frau F wollte sich mit einer Berufsausbildung als Kindergruppenbetreuerin weiterqualifizieren. Im Bewerbungsverfahren wurde sie aber immer wieder mit penetranten Fragen und abwertenden Bemerkungen zu ihrem Kopftuch konfrontiert. Frau F wurde wiederholt gefragt, ob sie das Kopftuch „nach hinten binden“ oder doch lieber ablegen könnte und schlussendlich nicht in die Ausbildung aufgenommen. Frau F brachte eine Klage ein.
Das Wiener Landesgericht hat im Urteil erstmalig geklärt, dass sogar schon mehrmaliges Fragen danach, ob eine Frau bereit wäre das Kopftuch abzunehmen oder anders zu tragen, ein Indiz für Diskriminierung ist. Nicht nur die Ausbildung selbst, sondern bereits der Zugang zu einer Ausbildung ist damit klar vom Diskriminierungsschutz erfasst. Frau F erhielt außerdem 2.000 Euro Schadenersatz. Das ist eine wichtige Anerkennung des immateriellen Schadens, der durch solche Diskriminierungen verursacht wird. Letztendlich werden (kopftuchtragenden) Frauen durch solche Diskriminierungen nicht nur Ausbildungen, sondern in weiterer Folge eine qualifizierte Arbeitsmarktbeteiligung verwehrt.
Sabine Wagner-Steinrigl: Frau F, was war denn Ihre Motivation, sich gegen diese Diskriminierung zur Wehr zu setzen?
Frau F: Meine Motivation war jedenfalls, ich wurde sehr unter Druck gesetzt, sehr erniedrigt. In diesem Vorstellungsgespräch, besonders im letzten Teil, gab es so ein Vorstellungsverfahren, wo auch dieser Vergleich kam „Ja, Sie würden ja auch nicht Alkohol trinken und rauchen vor den Kindern.” Das war auch einer der Punkte, wo ich mir dachte, das darf ich nicht so stehen lassen.
Und besonders motiviert hat mich meine Schwester. Sie hat gemeint, dass das nicht okay ist, dass man mich so behandelt, und, dass ich da auf jeden Fall etwas machen sollte.
Sabine Wagner-Steinrigl: Als Person, die sich erfolgreich gegen Diskriminierung zur Wehr gesetzt hat: Was würden Sie anderen sagen? Wie funktioniert das und was braucht es dafür?
Frau F: Man braucht auf jeden Fall viel Geduld und man braucht viel Mut, das zu machen. Aber man schafft es auf jeden Fall und man bekommt immer sehr viel Unterstützung von vielen.
Also ich habe Unterstützung von meiner Familie bekommen. Von Ihnen habe ich sehr viel Unterstützung bekommen. Das hat mir schon sehr geholfen, dass ich diesen Weg gegangen bin.
Sabine Wagner-Steinrigl: Was nehmen Sie denn mit aus diesem erfolgreichen Verfahren? Jetzt, wo Sie die Klage gewonnen und Schadenersatz bekommen haben?
Frau F: Ich nehme auf jeden Fall mit, also viele in meinem Umfeld denken sich, und ich habe auch so gedacht, das wird sowieso nicht so viel bringen. Aber man sieht, wenn man sich wehrt und wenn man etwas tut, da kann man schon was bewirken. Auch wenn es nur etwas Kleines ist.
Das ist eigentlich schon etwas Großes, finde ich. Ich habe da schon etwas Großes erreicht.
Sabine Wagner-Steinrigl: Wir nehmen als Gleichbehandlungsanwaltschaft aus dem Urteil auch mit, dass es hoffentlich eine Ermutigung ist für mehr Frauen, sich zur Wehr zu setzen. Und natürlich auch für die andere Seite, dass klargestellt ist: Fragen nach dem Kopftuch und das penetrante Fragen nach dem Abnehmen des Kopftuchs dürfen einfach nicht sein.
74% der Anfragen, die von der Gleichbehandlungsanwaltschaft zum Diskriminierungsgrund Religion betreut werden, betreffen Personen muslimischen Glaubens. Auffällig ist, dass sich davon 90% auf Diskriminierungserfahrungen von muslimischen Frauen beziehen. Umso wichtiger ist es, dass in diesem Gerichtsurteil der Zusammenhang zwischen Religion und Geschlecht so klar erkannt wird.
Die Diskriminierung von Frauen, die Hijab tragen, hängt aber nicht nur mit Religion und Geschlecht zusammen, sie ist auch eine Form von Rassismus. Es ist deswegen sehr wichtig, dass dieser Zusammenhang in Gerichtsurteilen künftig auch anerkannt wird.
Weiterführende Ressourcen
Den genauen Weg von Frau F bis zur erfolgreichen Klage erzählen wir im Fall des Monats April 2023. Darin findet sich auch ein Überblick zu den wichtigsten Erkenntnissen, die die Gleichbehandlungsanwaltschaft aus diesem gerichtlichen Urteil für die tägliche Arbeit mitnimmt.
Immer wieder kommen Frauen zu uns in die Beratung, weil Arbeitgeber:innen oder Ausbildungsanbieter:innen sie bei der Bewerbung unter Druck setzen ihren Hijab abzunehmen. Auf unserem Instagram Account @wege_zur_gleichbehandlung haben wir deshalb ein #Know Your Rights Posting darüber zusammengetragen, welche Ausreden von Arbeitgeber:innen hinterfragt werden können.