Europäischer Gerichtshof (EuGH)
Ausgewählte Judikatur zum Thema Gleichbehandlung. Alle wichtigen Gesetze zu Gleichstellungsfragen für Sie zusammengefasst. Was ist wo verboten? Wann schützt das Gesetz vor Diskriminierung?
JK vs. TP S.A. (EuGH C-356/21, Urteil vom 12.01.2023)
In diesem, dem EuGH zur Auslegung vorgelegten Fall ging es um die Beendigung bzw. Nichtverlängerung eines Dienstvertrages eines grundsätzlich selbständigen Mitarbeiters eines staatlichen Fernsehsenders. Dieser Mitarbeiter, der grundsätzlich selbständig ist, hatte bereits mehrere Perioden beim Fernsehsender gearbeitet. Auch für die Zeit vor und nach Weihnachten war bereits eine Arbeitsperiode vereinbart.
Der Mitarbeiter veröffentlichte kurz vor seinem Arbeitsantritt ein Video, welches ihn mit seinem Lebensgefährten zeigte. Daraufhin wurde ihm mitgeteilt, dass er nicht weiter beim Sender beschäftigt werden wird.
Im Verfahren vor dem Gerichtshof wurde sodann die Frage behandelt, inwieweit auch Selbständige vom Schutzbereich der Anti Diskriminierungsrichtlinien umfasst sind, wie selbständige Tätigkeit definiert werden kann und wie eine freie Wahl von Vertragspartner:innen diskriminierungsfrei auszulegen ist.
Der EuGH führte aus, dass die EU-Richtlinien weit auszulegen sind und das Ziel, Diskriminierungen in der Berufswelt zu verhindern, beachtet werden muss. Wichtig ist, dass alle am Arbeitsleben teilhaben können und ihren Lebensunterhalt sichern können. Der Begriff „selbständige Erwerbstätigkeit“ im Sinne der Richtlinie 2000/78 umfasst die Lieferung von Waren und die Erbringung von Dienstleistungen, wenn Leistungserbringer:innen eine persönliche Tätigkeit übernehmen. In diesem Fall dürfen potenzielle Abnehmer:innen von Waren oder Dienstleistungen den Abschluss eines Vertrags nicht wegen der sexuellen Orientierung des Leistungserbringers ablehnen.
Die Beendigung der Inanspruchnahme der Dienstleistungen durch den Fernsehsender wurde vom EuGH zudem als diskriminierende Beendigung gewertet, vergleichbar mit der Beendigung eines:einer Arbeitnehmer:in. Dass der Mitarbeiter auch für andere Vertragspartner:innen arbeiten könne, gelte nicht als Rechtfertigung.
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L.F. gegen S.C.R.L (EuGH C-344/20)
Die Klägerin, L.F., bewarb sich im Jahr 2018 um ein Praktikum bei der beklagten Firma. Sie erhält dafür auch eine Zusage, allerdings nur, wenn sie sich an die im Unternehmen geltende Neutralitätsregel hält. Diese verpflichtet die Arbeitnehmer:innen, „die strikte Neutralitätspolitik des Unternehmens zu achten“, und daher „darauf (zu) achten, dass sie ihre religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugungen, welche diese auch immer sein mögen, in keiner Weise, weder durch Worte noch durch die Kleidung oder auf andere Weise, zum Ausdruck bringen“. L.F. ist muslimischen Glaubens und trägt als Ausdruck dessen ein Kopftuch. In einer zweiten Bewerbung bietet sie an, eine andere Kopfbedeckung zu tragen. Das Unternehmen lehnt erneut ab, da keine Kopfbedeckung, sei es eine Mütze, eine Kappe oder ein Kopftuch mit der Neutralitätsregel vereinbar sei. Das vorlegende belgische Gericht stellt mehrere Fragen an den EuGH, unter anderem zur Auslegung des Begriffs „Religion oder Weltanschauung“ und inwieweit von diesem Begriff auch politische Anschauungen umfasst sind. Es spricht außerdem das Thema der Sichtbarkeit religiöser
Überzeugungen an, die je nach Religion unterschiedlich ist. Eine entsprechende Neutralitätsregel wirke sich daher unterschiedlich auf Religionen oder Weltanschauungen aus.
Der EuGH, der sich seit der Entscheidung zur Rechtssache C-157/15 (G4S Secure Solutions) mit dem Thema der Neutralität als Zeichen unternehmerischer Freiheit im Verhältnis zum Verbot von Benachteiligungen auf Grund der Religion auseinandersetzt, führt aus, dass „Religion oder Weltanschauung“ zwei Seiten des einen Diskriminierungsgrundes darstellen, die politische oder sonstige Anschauung sei davon zu unterscheiden und auch gewerkschaftliche, künstlerische, sportliche, ästhetische oder sonstige Überzeugungen oder Präferenzen seien vom Schutz der Richtlinie 2000/78/EG nicht erfasst. In Bezug auf die Neutralitätsregel stellt er klar, dass diese unterschiedslos alle religiösen oder weltanschaulichen Zeichen umfassen muss, eine reine Bezugnahme auf „großflächige“ Zeichen sei, wie in den Entscheidungen C-804/18 und C-431/19 ausgeführt, eine unmittelbare Diskriminierung begründen kann und auch bei der in Rede stehenden
Neutralitätsregelung vom nationalen Gericht geprüft werden muss, ob diese unterschiedslos angewendet wird. Wenn dies zutreffe, sei vom innerstaatlichen Gericht eine mittelbare Diskriminierung zu prüfen – also ob sich die Regelung in besonderer Weise benachteiligend auf eine Religion oder Weltanschauung auswirke - und ob das Unternehmen mit der Neutralitätsregel eine allgemeine Politik gegenüber Kund:innen verfolge und sich somit rechtfertigen könne. Dieses Bedürfnis des Unternehmens sei klar zu erläutern.
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NH gegen Associazione Avvocatura per i diritti LGBTI (sexuelle Orientierung) (EuGH vom 23.4.2020, C 507/18)
Der Rechtsanwalt NH erklärt im Rahmen einer Radiosendung, dass er keine homosexuellen Personen in seiner Kanzlei einstellen oder beschäftigen würde. Eine Vereinigung von Rechtsanwälten, die vor Gericht die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgenderpersonen oder intergeschlechtlichen Personen (LGBTI) verteidigt, klagt ihn aufgrund dieser Äußerungen wegen unmittelbarer Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung auf Schadensersatz. Der Klage wird in zwei Instanzen stattgegeben. Der von NH angerufene Kassationsgerichtshof leitet ein Vorabentscheidungsverfahren ein und möchte vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) wissen, ob die RL 2000/78/EG diesen Sachverhalt umfasst und ob der Vereinigung von Rechtsanwälten einerseits eine Klagebefugnis zukommt und ihr andererseits Schadenersatz zugesprochen werden kann, obwohl es keine identifizierte beschwerte Person gibt.
Der EuGH bestätigt unter Verweis auf die Entscheidung Asociația Accept vom 25. April 2013, C‑81/12, dass der Begriff „Bedingungen … für den Zugang zu [einer] Erwerbstätigkeit“ autonom, einheitlich und vor allem nicht eng auszulegen ist. Homophobe Äußerungen fallen auch dann unter den Begriff, wenn sie von einer Person stammen, die rechtlich zwar nicht zu Einstellungen befugt ist, aber Einfluss auf die Einstellungspolitik des Arbeitgebers ausübt. Dies zu beurteilen ist Sache des nationalen Gerichts. Die diesbezügliche Einschränkung der Meinungsfreiheit erachtet der EuGH als zulässig und auch verhältnismäßig, weil sie der Durchsetzung der durch die RL 2000/78/EG eingeräumten Rechte in Beschäftigung und Beruf dient. Die RL räumt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, die Voraussetzungen für eine Klage zur Feststellung einer Diskriminierung durch eine Vereinigung festzulegen und gegebenenfalls auch Schadenersatzansprüche geltend zu machen, selbst wenn sich keine konkrete geschädigte Person feststellen lässt.
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Arbeitgeber:in ist zu Maßnahmen verpflichtet, um hörbehinderten Arbeitnehmer in Beschäftigung zu halten (EuGH vom 15.7.2021, C-795/19, XX gegen Tartu Vangla)
Ein estnischer Strafvollzugsbeamter wird entlassen, weil er nach einer Beschäftigungsdauer von 15 Jahren die rechtlichen Anforderungen für die notwendige Hörtauglichkeit nicht (mehr) erfüllt. Der EuGH stellt zunächst eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund der Behinderung fest. Er sieht sie jedoch als gerechtfertigt durch das legitime Ziel der Sicherstellung der Einsatzbereitschaft und des ordnungsgemäßen Funktionierens der Haftanstalten. Das Vorliegen einer bestimmten Hörfähigkeit wird als wesentliche und entscheidende berufliche Voraussetzung angesehen. Die nationale Bestimmung sieht jedoch eine absolute Hörschwelle vor und keine individuelle Beurteilung der Frage, ob die wesentlichen Aufgaben des Berufs trotz Hörschwäche erfüllt werden können. Auch ist in der Bestimmung für Sehschwäche eine Unterstützung durch Hilfsmittel vorgesehen, bei Hörschwäche hingegen nicht. Da Arbeitgeber:innen verpflichtet sind, Maßnahmen zu ergreifen, die eine Beschäftigung von behinderten Menschen ermöglichen, verstößt die Bestimmung zur Hörtauglichkeit gegen die Richtlinie 2000/78/EG.
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Die notwendige Voraussetzung von grundlegenden Deutschkenntnissen für die Gewährung der oberösterreichischen Wohnbeihilfe stellt keine mittelbare Diskriminierung auf Grund der ethnischen Herkunft dar (EuGH v. 10.6.2021, C-94/20, Land Oberösterreich gegen KV)
Der Gerichtshof der Europäischen Union bestätigt seine bisher ergangene Rechtsprechung zur mittelbaren Diskriminierung auf Grund der ethnischen Herkunft. Einem türkischen Staatsangehörigen mit der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten wurde auf Grund eines oberösterreichischen Landesgesetzes die Gewährung der Wohnbeihilfe verwehrt. Dies deshalb, weil er die Voraussetzung von grundlegenden Deutschkenntnissen nicht erfüllt. Der Gerichtshof weist wiederholt darauf hin, dass es zum Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung der Tatsache bedarf, dass Personen einer bestimmten ethnischen Herkunft benachteiligt sein müssen. Da die Regelung jedoch unterschiedslos für alle Drittstaatsangehörigen gilt, ist die Richtlinie 2000/43/EG in diesem Fall nicht anwendbar. Sofern das nationale Gericht feststellt, dass die Wohnbeihilfe eine Kernleistung im Sinne der Richtlinie 2003/109/EG darstellt, würde die Regelung jedoch einen Verstoß gegen Unionsrecht darstellen.
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Zulässigkeit des Verbotes eines Tragens politischer, weltanschaulicher oder religiöser Zeichen im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses (EuGH v. 15.7.2021, IX gegen WABE e. V. (C-804/18) u. MH Müller Handels GmbH gegen MJ (C-341/19))
Einer Heilerziehungspflegerin in einer Kindertagesstätte und einer Verkaufsberaterin und Kassiererin in einem Kaufhaus werden von ihren Arbeitgeber:innen das Tragen eines Kopftuches am Arbeitsplatz verboten. Im ersten Fall erfolgt dies auf Grund einer Dienstanweisung zur Einhaltung des Neutralitätsgebots, welches eine Politik der politischen, weltanschaulichen und religiösen Vielfalt verfolgt. Im zweiten Fall ist die Grundlage für dieses Verbot eine Weisung, die die Forderung enthält, ohne auffällig großflächige Zeichen religiöser, politischer oder weltanschaulicher Überzeugungen am Arbeitsplatz zu erscheinen. Der Gerichtshof der europäischen Union stellt fest, dass das Verbot des Tragens jeglicher solcher Zeichen keine unmittelbare Diskriminierung auf Grund der Religion verwirklicht. Sehr wohl kann jedoch das Verbot des Tragens großflächiger Zeichen eine solche darstellen, da dieses Verbot zur Folge haben kann, dass einige Arbeitnehmer:innen wegen ihrer Religion oder Weltanschauung weniger günstig behandelt werden. Für den Fall dass keine unmittelbare Diskriminierung festgestellt werden kann, kann jedoch eine mittelbare Diskriminierung vorliegen. Dies ist davon abhängig, ob Arbeitgeber:innen für das Verbot eine sachliche Rechtfertigung nachweisen können. Eine Neutralitätspolitik kann ein rechtmäßiges Ziel darstellen, wenn diese einem wirklichen Bedürfnis des Unternehmens dient. Ein solches, nachzuweisendes Bedürfnis liegt vor, wenn ohne diese Maßnahmen nachteilige Konsequenzen zu erwarten sind und die Maßnahmen geeignet sind, die ordnungsgemäße Anwendung des Neutralitätsgebotes sicherzustellen.
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Beschaffenheit eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes bei Diskriminierungen (EuGH v. 15.4.2021, C-30/19, Diskrimineringsombudsmannen gegen Braathens Regional Aviation AB)
Das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union bringt wesentliche Klarstellungen, wie ein wirksamer Rechtsschutz für Diskriminierungsopfer beschaffen sein muss. Es ging um den Fall eines Fluggastes, der sich durch die Fluglinie auf Grund der ethnischen Herkunft diskriminiert fühlte. Der Gerichtshof entschied, dass es nicht genügt, dass die beklagte Partei eine Schadenersatzforderung anerkennt, um damit das Verfahren zu beenden. Der betroffenen Person muss auch die Überprüfung des Sachverhaltes auf Vorliegen einer Diskriminierung ermöglicht werden. Dies stellt eines der Rechte dar, das Diskriminierungsopfern durch den Art 47 GRC und die Richtlinie 2000/43/EG gewährt wird. Auch die in der Richtlinie normierte Abschreckungs- und Wiedergutmachungsfunktion einer Sanktion verlangt die inhaltliche Überprüfung durch ein Gericht. Von Diskriminierung betroffenen Personen geht es zur Wiedergutmachung des von ihnen erlittenen immateriellen Schadens vor allem darum, das diskriminierende Verhalten feststellen zu lassen. Zudem soll für die für die Diskriminierung verantwortliche Person ein Anreiz geschaffen werden, ein solches Verhalten nicht mehr zu wiederholen. Eine rein symbolische Sanktion wird diesen Prämissen nicht gerecht.
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Ungleichbehandlung innerhalb einer Gruppe von behinderten Arbeitnehmer:innen durch Vorenthalt eines Zuschlags durch den Arbeitgeber (EuGH v. 26.1.2021, C-16/19, VL gegen Szpital Kliniczny im. dra J. Babi-skiego Samodzielny Publiczny Zakéad Opieki Zdrowotnej w Krakowie)
VL übermittelt ihrem Arbeitgeber die Bescheinigung der Anerkennung ihrer Behinderung. Einige Zeit später wird von diesem die Entscheidung getroffen, allen Arbeitnehmer:innen, die danach ihre Bescheinigung einreichen, einen monatlichen Zuschlag zum Arbeitsentgelt zu zahlen. Das Ziel dieser Maßnahme ist die Verringerung der Beiträge an den Staatsfonds für die Rehabilitation von Menschen mit Behinderungen. VL erhält diesen Zuschlag nicht und bringt eine Klage wegen Diskriminierung beim Entgelt auf Grund der Behinderung und Verstoß gegen die Richtlinie 2000/78/EG ein. Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob eine mittelbare Diskriminierung vorliege, wenn innerhalb einer Gruppe von Arbeitnehmer:innen, die dasselbe Merkmal aufweisen, eine Unterscheidung vorgenommen wird, ohne dass die fraglichen Arbeitnehmer:innen im Verhältnis zu den Arbeitnehmer:innen, die das Merkmal nicht aufwiesen, weniger günstig behandelt würden.
Der Gerichtshof der Europäischen Union hält fest, dass diese Vorgangsweise eine unmittelbare Diskriminierung darstellen kann, wenn sie auf ein untrennbar mit der Behinderung verbundenes Kriterium gestützt wird. Dies gelte, da sie einer klar zu identifizierenden Gruppe von Arbeitnehmer:innen, die sich aus allen behinderten Arbeitnehmer:innen zusammensetzt, deren Zustand einer Behinderung dem Arbeitgeber bei der Einführung dieser Vorgangsweise notwendigerweise bekannt war, die Erfüllung dieser zeitlichen Bedingung endgültig unmöglich macht. Eine mittelbare Diskriminierung kann vorliegen, wenn sich erweist, dass sie behinderten Arbeitnehmer:innen in Abhängigkeit von der Art der Behinderung, unter anderem der Auffälligkeit dieser Behinderung oder des Umstands, dass die Behinderung angemessene Vorkehrungen bei den Arbeitsbedingungen erfordert, besonders benachteiligt sind und diese Maßnahme weder durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt ist, noch die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.
Zusatzurlaub nur für weibliche Arbeitnehmerinnen im Anschluss an den Mutterschaftsurlaub ist nur zulässig, wenn er unionsrechtlich garantiertem Mindestschutz entspricht (EuGH v. 18.11.2020, C-463/19, Syndicat CFTC du personnel de la Caisse primaire d’assurance maladie de la Moselle gegen Caisse primaire d’assurance maladie de Moselle)
CY, Vater eines Kleinkindes, sieht in der durch die Gesetzliche Krankenkasse erfolgten Verweigerung eines Urlaubes für Arbeitnehmerinnen, die ihr Kind selbst erziehen, eine Diskriminierung auf Grund des Geschlechts. Der Urlaubsanspruch wird in Art. 46 des nationalen Tarifvertrags für Personal der Sozialversicherungsträger gewährt und sieht für Arbeitnehmerinnen, die ihr Kind selbst erziehen, einen zusätzlichen Urlaubsanspruch nach Ablauf des gesetzlichen Mutterschaftsurlaubs vor. Die Gesetzliche Krankenkasse begründet die Verweigerung damit, dass der Urlaub Arbeitnehmerinnen vorbehalten sei. Die Gewerkschaft erhebt Klage gegen die gesetzliche Krankenkasse wegen einer verbotenen Diskriminierung auf Grund des Geschlechts, da Männer und Frauen bei der Aufgabe der Erziehung ihrer Kinder gleichberechtigt seien. Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass der französische Kassationsgerichtshof entschieden habe, dass Art. 46 des Tarifvertrags die Gewährung eines zusätzlichen Mutterschaftsurlaubs bei Ablauf des in Art. 45 des Tarifvertrags genannten gesetzlichen Mutterschaftsurlaubs zum Gegenstand habe und dem Schutz der besonderen Beziehung zwischen der Frau und dem Kind in der Zeit nach der Schwangerschaft und der Entbindung diene.
Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hält fest, dass die Richtlinie 2006/54/EG in Art. 28 ausdrücklich bestimmt, dass die Richtlinie Vorschriften zum Schutz der Frau, insbesondere bei Schwangerschaft und Mutterschaft, nicht entgegensteht und die Bestimmungen der Richtlinie 92/85/EWG nicht berührt. Der Mutterschaftsurlaub ist ein arbeits- und sozialrechtliches Schutzinstrument von besonderer Bedeutung und hat den Schutz der körperlichen Verfassung der Frau während und nach der Schwangerschaft und den Schutz der besonderen Beziehung zwischen Mutter und Kind während der Zeit nach der Schwangerschaft und Entbindung zum Gegenstand. Das Ziel des Schutzes der besonderen Beziehung zwischen Mutter und Kind in der Zeit nach der Entbindung reicht für sich jedoch nicht aus, um einen zusätzlichen Urlaubszeitraum Vätern nicht zu gewähren. Ein Tarifvertrag, der männlichen Arbeitnehmern einen solchen Urlaub verwehrt, schafft eine Ungleichbehandlung auf Grund des Geschlechts. Eine solche Ungleichbehandlung ist mit der Richtlinie 2006/54/EG nur vereinbar, wenn dieser Zusatzurlaub, da er denselben Zweck wie der gesetzliche Mutterschaftsurlaub hat, dem in den Richtlinien 92/85/EWG und 2006/54/EG garantierten Mindestschutz entspricht. Dieser zusätzliche Urlaub muss den Schutz der Arbeitnehmerinnen hinsichtlich der Folgen der Schwangerschaft als auch hinsichtlich der Mutterschaft bezwecken. Dies hat das vorlegende Gericht unter Berücksichtigung insbesondere der Voraussetzungen für die Gewährung dieses Urlaubs, seiner Ausgestaltung und Dauer sowie des mit diesem Urlaub verbundenen rechtlichen Schutzniveaus zu prüfen.
Keine Anwendung des Pro-rata-temporis-Grundsatzes bei zeitlich unterschiedlicher Möglichkeit der Verlängerung befristeter Arbeitsverhältnisses bei Voll- und Teilzeitbeschäftigten (EuGH v. 3.10.2019, C-274/18, Minoo Schuch-Ghannadan gegen Medizinische Universität Wien)
Frau Schuch-Ghannadan ist bei der Medizinischen Universität Wien als Wissenschaftlerin auf der Grundlage von mehreren aufeinanderfolgenden befristeten Verträgen etwas länger als 11 Jahre beschäftigt. Nach österreichischem Recht ist dies möglich, wenn die Gesamtdauer unmittelbar aufeinanderfolgender Arbeitsverhältnisse 6 Jahre, im Fall der Teilzeitbeschäftigung 8 Jahre nicht überschreitet. Eine darüber hinaus gehende einmalige Verlängerung bis zu insgesamt 10 Jahren, bei Teilzeitbeschäftigung bis zu insgesamt 12 Jahren, ist bei sachlicher Rechtfertigung zulässig. Frau Schuch-Ghannadan erhebt Klage auf Feststellung des aufrechten Bestandes ihres Arbeitsverhältnisses. Sie sieht in der österreichischen Regelung eine Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten und eine mittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts, weil Frauen seltener vollzeitbeschäftigt sind. Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob auf die gegenständliche Regelung der Pro-rata-temporis-Grundsatz anzuwenden ist. Außerdem möchte es wissen, ob eine mittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts vorliegt und ob eine Frau den Umstand, dass wesentlich mehr Frauen als Männer von dieser Regelung betroffen sind, durch Vorbringen konkreter statistischer Zahlen glaubhaft machen muss.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) sieht in der Regelung eine Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten, wenn die unterschiedliche Behandlung nicht aus objektiven Gründen gerechtfertigt ist und in einem angemessenen Verhältnis zu diesen Gründen steht. Der Pro-rata-temporis-Grundsatz kommt bei einer solchen Regelung nicht zum Tragen. Die gegenständliche Regelung kann nicht als Ausprägung dieses Grundsatzes angesehen werden, da die Höchstdauer aufeinanderfolgender Arbeitsverhältnisse für Teilzeitbeschäftigte nämlich generell um zwei Jahre verlängert wird und somit nicht proportional zu den tatsächlich abgeleisteten Stunden ist. Es liegt dann eine Diskriminierung auf Grund des Geschlechts vor, wenn erwiesen ist, dass der prozentuale Anteil der benachteiligten weiblichen Beschäftigten signifikant höher ist als jener der männlichen und wenn die Regelung nicht durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt ist oder die Mittel zur Erreichung dieses Ziels nicht angemessen oder erforderlich sind. Die Partei, die sich für beschwert erachtet, hat keine Verpflichtung, zur Glaubhaftmachung konkrete statistische Zahlen oder konkrete Tatsachen vorzubringen, wenn sie zu solchen Zahlen oder Tatsachen keinen oder nur schweren Zugang hat.
EuGH v. 3.10.2019, C-274/18, Minoo Schuch-Ghannadan gegen Medizinische Universität Wien
Keine Beschränkung des Viktimierungsschutzes auf das Vorliegen besonderer Formerfordernisse (EuGH v. 20.6.2019, C-404/18 Jamina Hakelbracht, Tine Vandenbon, Instituut voor de Gelijkheid van Vrouwen en Mannen gegen WTG Retail BVBA)
Frau Vandebon klagt ihren Arbeitgeber auf Schadenersatz. Sie behauptet, dass ihr Arbeitsverhältnis deshalb beendet wurde, weil sie eine Bewerberin, Frau Hakelbracht, bei deren Beschwerde unterstützt hat. Frau Vandebon hatte mit ihr ein Bewerbungsgespräch geführt, Frau Hakelbracht wurde aber dann aufgrund ihrer Schwangerschaft vom Unternehmen nicht eingestellt.
Das belgische Gendergesetz sieht einen Viktimisierungsschutz für andere als die diskriminierten Personen nur dann vor, wenn diese als Zeug:innen vor Gericht auftreten oder die Aussage schriftlich verfasst und datiert ist, das heißt bestimmten Formerfordernissen entspricht.
Der EuGH sieht in der belgischen Regelung einen Verstoß gegen Art 24 der RL 2006/54/EG und stellt klar, dass schon aus dem Wortlaut dieser Regelung hervorgeht, dass diese weit auszulegen ist. Der Schutz umfasst alle Arbeitnehmer:innen, gegen die der/die Arbeitgeber:in als Reaktion auf eine wegen Diskriminierung auf Grund des Geschlechts eingereichte Beschwerde Vergeltungsmaßnahmen ergreift, ohne dass diese Kategorie anderweitig begrenzt wäre.
Schlechtere Vergütungsbedingungen für neu eingestellte Beschäftigte ist keine Altersdiskriminierung (EuGH v. 14.2.2019, C-154/18, Tomás Horgan, Claire Keegan gegen Minister for Education & Skills, Minister for Finance, Minister for Public Expenditure & Reform, Ireland, Attorney General)
Die irische Regierung senkt die Entgelte für ab dem 1.Jänner 2011 ernannte Beschäftigte im öffentlichen Dienst um 10%, und diese Personen werden auf der ersten Stufe der Entgeltskala anstelle auf der zweiten oder dritten Stufe eingestuft.
Herr Horgan und Frau Keegan, die unter diese Regelung fallen, fühlen sich auf Grund des Alters gegenüber den bereits im Amt befindlichen Beschäftigten benachteiligt.
Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) führt aus, dass das einzig relevante Kriterium für die Anwendung der neuen Regelung jenes der Einstellung ab dem 1. Jänner 2011 ist. Das Vorliegen einer vergleichbaren Arbeit sei unstreitig, das vorlegende Gericht habe aber klargestellt, dass die ab dem 1. Jänner 2011 eingestellten Lehrkräfte ebenso wie die vor dem 1.Jänner 2011 eingestellten Lehrkräfte im Durchschnitt 25 Jahre alt oder jünger gewesen sind.
Die neuen Entgeltregeln beruhen somit nicht auf einem Kriterium, das untrennbar mit dem Alter verbunden ist, und dieses knüpft auch nicht mittelbar daran an. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Regelung zu einer Ungleichbehandlung wegen des Alters führt.
Österreichische Karfreitagsregelung stellt Diskriminierung aufgrund der Religion dar (EuGH v. 22.1.2019, C-193/17, Cresco Investigation GmbH gegen Markus Achatzi)
Herr Achatzi fühlt sich aufgrund der Religion diskriminiert, da er, weil er keiner der in § 7 Abs 3 Arbeitsruhegesetz (ARG) genannten Kirchen angehört, für seine am Karfreitag geleistete Arbeit von seinem Arbeitgeber keinen Feiertagszuschlag gem. § 9 Abs 1 ARG erhalten hat.
§ 7 Abs 3 ARG bestimmt, dass für Angehörige der evangelischen Kirchen AB und HB, der Altkatholischen Kirche und der Evangelisch-methodistischen Kirche auch der Karfreitag ein Feiertag ist. § 9 Abs 1 ARG besagt, dass der Arbeitnehmer für die infolge eines Feiertages oder der Ersatzruhe (§ 6) ausgefallene Arbeit seinen Anspruch auf Entgelt behält.
Auf die vom OGH gestellten Vorlagefragen antwortet der EuGH, dass die unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmer:innen, die den in § 7 Abs 3 ARG genannten Kirchen angehören, und Arbeitnehmer:innen, bei denen dies nicht der Fall ist, eine unmittelbar auf der Religion beruhende unterschiedliche Behandlung darstellt. Die Arbeitnehmer:innen beider Gruppen befinden sich in der gleichen Situation. Für die Gewährung des Karfreitags als Feiertag ist allein die formale Zugehörigkeit zu einer der genannten Kirchen notwendig, eine Verpflichtung zur Erfüllung einer bestimmten religiösen Pflicht geht damit nicht einher.
Diese unmittelbare Diskriminierung aufgrund der Religion ist zwar eine Maßnahme zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer gemäß Art 2 Abs 5 der RL 2000/78/EG. Sie ist jedoch nicht notwendig, da die Angehörigen der nicht in § 7 Abs 3 ARG genannten Kirchen durch Vereinbarung mit dem Arbeitgeber im Rahmen seiner wahrzunehmenden Fürsorgepflicht das Recht erhalten können, sich für die Befolgung bestimmter religiöser Riten vom Arbeitsplatz zu entfernen.
Auch das Vorliegen einer spezifischen Maßnahme zur Verhinderung oder zum Ausgleich von Benachteiligungen wegen eines Diskriminierungsgrundes lehnt der EuGH mit der gleichen Begründung als nicht verhältnismäßig ab. Solange keine nationale Regelung geschaffen wird, die diese Ungleichbehandlung abschafft, muss § 7 Abs 3 ARG auch auf alle Arbeitnehmer:innen angewandt werden, die ihren Arbeitgeber um Gewährung eines Feiertages am Karfreitag ersuchen. Bei Nichtgewährung besteht in diesen Fällen Anspruch auf das Feiertagsentgelt.
EuGH v. 22.1.2019, C-193/17, Cresco Investigation GmbH gegen Markus Achatzi
Kürzung der Ruhebezüge eines Beamten im Rahmen einer Disziplinarstrafe ist diskriminierend (EuGH v. 15.1.2019, C-258/17, E.B. gegen Versicherungsanstalt öffentlicher Bediensteter BVA)
Im Jahr 1975 wird aufgrund einer Verletzung seiner Standespflichten über einen Polizeibeamten eine Disziplinarstrafe verhängt. Das Erkenntnis der Disziplinarkommission sieht seine Versetzung in den dauernden Ruhestand und zusätzlich eine Verringerung des Ruhegenusses um 25% vor.
Die Verletzung seiner Standespflichten besteht in einer strafrechtlichen Verurteilung aufgrund der versuchten gleichgeschlechtlichen „Unzucht“ mit Jugendlichen. Diese Handlung ist zum Zeitpunkt der Tatbegehung nach österreichischem Recht nur für Personen männlichen Geschlechts strafbar.
Im Jahr 2008 beantragt der Polizeibeamte bei der Disziplinarbehörde die Aufhebung der Entscheidung und stellt im Jahr 2009 bei der Pensionsbehörde einen Antrag auf Bemessung und Nachzahlung von Aktivbezügen bzw. von höheren Ruhebezügen. Da diese Anträge nicht positiv beschieden werden, geht er gerichtlich gegen die Bescheide vor.
Der Verwaltungsgerichtshof legt dem EuGH vor und ersucht um Interpretation von Art 2 der RL 2000/78/EG. Zum sachlichen Geltungsbereich der RL weist der EuGH darauf hin, dass das nationale Gericht prüfen muss, ob die gegenständlichen Ruhebezüge im nationalen Recht als Entgelt entsprechend den Versorgungsbezügen angesehen werden, das im Rahmen eines nach Übertritt eines Beamten in den Ruhestand weiter bestehenden Dienstverhältnisses gezahlt wird. Dies würde zur Anwendung der RL führen.
Zum zeitlichen Geltungsbereich verweist der EuGH auf seine ständige Rsp, wonach neu eingeführte Rechtsnormen zwar nicht auf unter dem alten Recht entstandene und endgültig erworbene Rechtspositionen anwendbar sind, jedoch sehr wohl auf deren künftige Wirkungen und neue Rechtspositionen. Er führt aus, dass die aus dem Erkenntnis resultierende Situation eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung darstellt. Er stützt dies auf den Hinweis des vorlegenden Gerichts, wonach eine allfällige disziplinarrechtliche Sanktion ohne die Verwirklichung des Straftatbestandes der männlich gleichgeschlechtlichen „Unzucht“ milder ausgefallen wäre.
Es kann zwar keine Wiederherstellung der beruflichen Laufbahn verlangt werden, da die Sanktion der Ruhestandsversetzung vor Ablauf der Umsetzungsfrist der RL bestandskräftig geworden ist, aber es muss ab diesem Zeitpunkt die Kürzung der Ruhebezüge dahingehend überprüft werden, welche Disziplinarstrafe bei Nichtberücksichtigung des männlich gleichgeschlechtlichen Charakters verhängt worden wäre und wie hoch die Kürzung der Ruhebezüge ausgefallen wäre.
EuGH v. 15.1.2019, C-258/17, E.B. gegen Versicherungsanstalt öffentlicher Bediensteter BVA
Die Vergabe von Stipendien fällt unter den Begriff Bildung (EuGH v. 15.11.2018, C- 457/17, Heiko Jonny Maniero geg en Studienstiftung des deutschen Volkes e. V.)
Herr Maniero fühlt sich durch eine private Studienstiftung, deren Zweck die Vergabe von Stipendien ist, auf Grund des Alters und der ethnischen Herkunft diskriminiert. Herr Maniero ist italienischer Staatsbürger, der in Deutschland geboren ist und lebt. Er hat den Bachelor of laws in Armenien erworben. Aufgrund der Information, dass für den Erhalt eines Stipendiums die erste juristische Staatsprüfung notwendig ist, bewirbt sich Herr Maniero nicht für ein Stipendium. Er klagt die Stiftung auf Beseitigung der Diskriminierung und auf Schadenersatz. Der Armenien erworbene „fünfjährige Abschluss“ ist seiner Ansicht nach mit der Zweiten Juristischen Staatsprüfung vergleichbar, da er in diesem Drittland zum Richteramt und zur Tätigkeit als Anwalt befähigt ist. Aufgrund Erfolglosigkeit der Klage in den ersten zwei Instanzen bringt Herr Maniero Revision beim Bundesgerichtshof ein und dieser leitet ein Vorabentscheidungsverfahren ein. Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) bejaht, dass die Vergabe von Stipendien durch eine Stiftung, die Forschungs- oder Studienvorhaben im Ausland fördern sollen, unter den Begriff „Bildung“ im Sinne der Rassismusrichtlinie (RL 2000/43/EG) fällt. Voraussetzung dafür ist, dass ein hinreichend enger Zusammenhang zwischen den vergebenen finanziellen Leistungen und der Teilnahme an den Forschungs - oder Studienvorhaben, die selbst unter diesen Bildungsbegriff fallen, besteht. Das Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung auf Grund der ethnischen Herkunft schließt der EuGH mit Verweis auf die Entscheidung Finans aus. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass durch das Erfordernis des Bestehens der Ersten Jurististischen Staatsprüfung Personen einer bestimmten ethnischen Herkunft nachteiliger betroffen wären als Personen anderer ethnischer Herkunft.
EuGH v. 15.11.2018, C-457/17, Heiko Jonny Maniero gegen Studienstiftung des deutschen Volkes e. V.
Unmittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts – Glaubhaftmachung (EuGH v. 19.9.2018, C-41/17, Isabel González Castro gegen Mutua Umivale, Prosegur España SL, Instituto Nacional de la Seguridad Social [INSS])
Frau Gonzales Castro arbeitet als Sicherheitsbedienstete bei einem Sicherheitsunternehmen. Sie bringt ein Kind zur Welt. Während sie noch stillt, fängt sie wieder an zu arbeiten und zwar in in variablen achtstündigen Wechselschichten in einem Einkaufszentrum. Um ihren Anspruch auf finanzielle Leistungen wegen des tätigkeitsbedingten Risikos während der Stillzeit geltend zu machen, leitet sie bei einer Versicherungsgesellschaft das vorgesehene Verfahren ein. In diesem Zusammenhang beantragt sie die Ausstellung eines ärztlichen Attests über das Vorliegen eines Risikos für die Stillzeit an ihrem Arbeitsplatz. Dieser Antrag wird abgelehnt, auch der Widerspruch wird zurückgewiesen. Gegen die Abweisung ihrer sodann erhobenen Klage beim Arbeits- und Sozialgericht bringt sie ein Rechtsmittel ein. Das Rechtsmittelgericht stellt ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), worin es zum einen die Frage geklärt haben möchte, wie der Begriff Nachtarbeit der Richtlinie 92/85/EWG auszulegen ist, wenn diese wie in der anhängigen Rechtssache mit Schichtarbeit kombiniert ist, und ob und in welcher Weise in einem solchen Fall die Beweislastregeln der Richtlinie 2006/54/EG zur Anwendung gelangen.
Der EuGH kommt zum Ergebnis, dass Artikel 7 der Richtlinie 92/85/EWG auf eine Situation Anwendung findet, in der die Arbeitnehmerin Schichtarbeit leistet, in deren Rahmen sie ihre Arbeit nur zum Teil während der Nachtzeit verrichtet. Er führt zudem aus, dass Artikel 19 Absatz 1 der Richtlinie 2006/54/EG Anwendung auf eine Situation findet, in der einer Arbeitnehmerin die Ausstellung eines ärztlichen Attests über das Vorliegen eines auf ihrem Arbeitsplatz vorhandenen Risikos für das Stillen versagt wird, ihr deshalb die Geldleistung wegen des Risikos während der Stillzeit versagt wird und sie die Beurteilung der Risiken ihres Arbeitsplatzes anficht. Die Arbeitnehmerin muss Tatsachen glaubhaft machen die dafürsprechen, dass diese Beurteilung keine spezifische Prüfung unter Berücksichtigung ihrer individuellen Situation umfasst hat und eine unmittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts vorliegt. Der beklagten Partei obliegt es dann zu beweisen, dass die Risikobeurteilung eine solche konkrete Prüfung umfasst hat und keine entsprechende Diskriminierung vorliegt.
Wiederverheiratung - zulässiger Kündigungsgrund? (EuGH v. 11.9.2018, C-68/17, IR gegen JQ)
JQ arbeitet als Chefarzt in einem Krankenhaus der Caritas und leitet die Abteilung Innere Medizin. Zweck der Gesellschaft, die das Krankenhaus betreibt, ist die Verwirklichung von Aufgaben der Caritas als Lebens- u. Wesensäußerung der römisch-katholischen Kirche.
JQ ist katholischer Konfession und kirchlich verheiratet. Nach Scheidung seiner Ehe heiratet er seine zweite Frau standesamtlich, ohne dass seine erste Ehe für nichtig erklärt worden ist. Der Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe ist in der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse als Loyalitätsverstoß definiert. Diese Loyalitätspflichten gelten nicht für andere Kolleg:innen in gleichen Positionen mit anderen bzw. keinen Konfessionen, JQ wird gekündigt.
Er erhebt Kündigungsschutzklage wegen Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes, da die Wiederverheiratung für andere Kolleg:innen keine Folgen gehabt hat.
Der EuGH führt aus, dass Kirchen oder Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, ihre Beschäftigten in leitender Stellung hinsichtlich der Anforderung, sich loyal und aufrichtig im Sinne dieses Ethos zu verhalten, nur dann unterschiedlich behandeln dürfen, wenn die Religion oder Weltanschauung im Hinblick auf die Art der beruflichen Tätigkeiten oder der Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos darstellt. Da von anderen Chefärzt:innen ein katholisches Eheverständnis für die Bekundung des Ethos der Arbeitgeberin nicht verlangt wird, scheint sie für Chefärzt:innen generell nicht notwendig zu sein.
EuGH v. 11.9.2018, C-68/17, IR gegen JQ
Bestimmte Religionszugehörigkeit – notwendig für bestimmte Tätigkeit? (EuGH v. 17.4.2018, C-414/16, Vera Egenberger gegen Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V.)
Frau Egenberger bewirbt sich für eine befristete Tätigkeit beim Evangelischen Werk für Diakonie. In den internen Richtlinien des Evangelischen Werks für Diakonie ist festgelegt, dass sämtliche bezahlte Mitarbeiter:innen der Gliedkirche (selbstständige Kirche als Glied einer größeren Vereinigung) angehören müssen. Sofern es sich um eine Tätigkeit handelt, die nicht die Verkündung der Glaubenslehre betrifft und der:die Mitarbeiter:in einer anderen Kirche angehört, kann von diesem Grundsatz abgesehen werden.
Laut Stellenausschreibung umfasst das Aufgabengebiet, für welches sich Frau Egenberger bewirbt, die Begleitung des Prozesses zur Staatenberichterstattung zur Antirassismus-Konvention der UN, die Erstellung des Parallelberichts des deutschen Staatenberichts, die Erarbeitung von Stellungnahmen und Fachbeiträgen, die projektbezogene Vertretung der Diakonie Deutschland nach außen, die Information und Koordination des Meinungsbildungsprozesses im Verbandsbereich sowie die Organisation, Verwaltung und Sachberichterstattung zum Arbeitsbereich. Frau Egenberger ist konfessionslos. Ihre Bewerbung wird nicht berücksichtigt. Sie fühlt sich aufgrund der Religion diskriminiert und klagt auf Schadenersatz.
Das Bundesarbeitsgericht leitet ein Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH ein um zu erfahren, welche Auslegung des Art 9 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) von der RL 2000/78/EG geboten ist. Art 9 AGG lässt eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung zu, wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf sich eine gerichtliche Kontrolle nur auf eine Plausibilitätsprüfung auf der Grundlage des glaubensdefinierten Selbstverständnisses beschränken. Der EuGH stellt jedoch klar, dass eine unionsrechtskonforme Auslegung auch die Verpflichtung der nationalen Gerichte beinhaltet, eine gefestigte Rechtsprechung gegebenenfalls abzuändern. Personalentscheidungen von Kirchen oder anderen Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, müssen hinsichtlich der Notwendigkeit einer bestimmten Religionszugehörigkeit für bestimmte Tätigkeiten einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle zugänglich sein. Es obliegt den Institutionen, im Einzelfall zu argumentieren, dass die Anforderung einer bestimmten Religionszugehörigkeit für die konkrete Tätigkeit notwendig ist.
Verlangen eines zusätzlichen Identitätsnachweises für in einem Drittstaat geborene Personen ist keine Diskriminierung (EuGH v. 6.4.2018, C-668/15, Jyske Finans A/S gegen Ligebehandlingsnævnet, handelnd für Ismar Huskic)
Herr Huskic, ein dänischer Staatsbürger, geboren in Bosnien Herzegowina, schließt im Rahmen des Ankaufs eines Kraftfahrzeuges einen Darlehensvertrag mit dem Kreditinstitut Jyske Finans ab. Dieses verlangt aufgrund einer unternehmensinternen Regel von Personen, die ihre Identität mit Hilfe eines Führerscheins nachweisen, der ein anderes Geburtsland angibt als einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) einen zusätzlichen Identitätsnachweis. Herr Huskic verlangt Schadenersatz wegen mittelbarer Diskriminierung.
Dieser wird ihm von der ersten Instanz auch zugesprochen, wobei das Gericht der Meinung ist, dass eine unmittelbare Diskriminierung vorliegt. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) verneint das Vorliegen einer unmittelbaren Diskriminierung, weil das Geburtsland nicht als unmittelbar oder untrennbar mit einer bestimmten ethnischen Herkunft anzusehen ist. Das Geburtsland kann lediglich als ein mögliches Merkmal unter anderen angesehen werden, dass eine Person einer bestimmten ethnischen Gruppe angehört, ist allein aber nicht entscheidend. Der EuGH weist auch darauf hin, dass die Richtlinie 2000/43/EG auf unterschiedliche Behandlungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit nicht anzuwenden ist.
Der EuGH verneint auch das Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung, da die Verpflichtung des zusätzlichen Identitätsnachweises unterschiedslos für alle Personen gilt, die außerhalb des Hoheitsgebietes eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder der EFTA geboren sind. Eine mittelbare Diskriminierung liegt nur vor, wenn die Maßnahme zur Benachteiligung einer bestimmten ethnischen Gruppe führt. Die Praxis des Unternehmens beruht auf einem Kriterium, das weder eine unmittelbare noch mittelbare Verbindung zur ethnischen Herkunft von Herrn Huskic hat.
EuGH v. 6.4.2018, C-668/15, Jyske Finans A/S gegen Ligebehandlingsnævnet, handelnd für Ismar Huskic
Vereinbarung befristeter Arbeitsverträge nach Erreichen des Pensionsalters (EuGH v. 28.2.2018, C-46/17, Hubertus John gegen Freie Hansestadt Bremen)
Nach deutschem Recht ist es zulässig, bei Arbeitsverträgen, die mit Erreichen des Regelpensionsalters automatisch enden, eine befristete Verlängerung durch Vereinbarung, dies auch mehrmals, zu ermöglichen. Das Arbeitsverhältnis von Herrn John unterliegt einer solchen Regelung mittels Tarifvertrag. Mit Erreichen des Regelpensionsalters wird das Arbeitsverhältnis von Herr John einmal befristet verlängert, ein zweiter Antrag wird vom Arbeitgeber abgelehnt. Herr John fühlt sich aufgrund des Alters diskriminiert und erhebt Klage.
Der Europäische Gerichtshof betont, dass die automatische Beendigung von Arbeitsverhältnissen, wenn die Voraussetzungen für den Bezug einer Altersrente erfüllt sind, seit langem Teil des Arbeitsrechts zahlreicher Mitgliedstaaten ist und dieser Mechanismus auf einem Ausgleich zwischen politischen, wirtschaftlichen, sozialen, demografischen und/oder haushaltsbezogenen Erwägungen beruht. Bestimmungen mit entsprechendem Inhalt sind bei Berücksichtigung des weiten Ermessensspielraums der Mitgliedstaaten unionsrechtskonform.
Die Möglichkeit, mittels Vereinbarung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis zu verlängern, kann nicht als Benachteiligung von Personen, die das Rentenalter erreicht haben, gegenüber Personen, die dieses noch nicht erreicht haben, gesehen werden. Durch die Regelung wird eine weitere Handlungsmöglichkeit, die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mitzugestalten, geschaffen. Anders als jüngere Arbeitnehmer kann ein Arbeitnehmer, der die Regelaltersgrenze erreicht hat, zwischen der Verlängerung und dem Ausscheiden aus dem Berufsleben wählen.
EuGH v. 28.2.2018, C-46/17, Hubertus John gegen Freie Hansestadt Bremen
Keine Rechtfertigung von unterschiedlichen Altersgrenzen für Männer und Frauen möglich. (EuGH v. 7.2.2018, C-142/17, Manuela Maturi u.a. gegen Fondazione Teatro dell’Opera di Roma und Fondazione Teatro dell’Opera di Roma gegen Manuela Maturi u.a. und C-143/17, Catia Passeri gegen Fondazione Teatro dell’Opera di Roma)
Das italienische Recht erlaubt eine Entlassung von Arbeitnehmer:innen durch ihre Arbeitgeber:innen nach Erreichen des Rentenantrittsalters. Die unterschiedliche Altersgrenze für das Rentenantrittsalter von Bühnenarbeitnehmer:innen der Kategorie der Tänzer:innen wird von 47 Jahren für Frauen und 52 Jahren für Männer auf eine einheitliche Altersgrenze von 45 Jahren festgesetzt. Für einen Zeitraum von zwei Jahren ab Inkrafttreten dieser Bestimmung wird gleichzeitig eine Übergangsregelung geschaffen, die unter bestimmten Voraussetzungen eine Weiterbeschäftigung bis zum Erreichen der ursprünglichen Altersgrenzen erlaubt.
Mehrere Tänzer:innen erheben Klage gegen ihre Entlassung nach diesen Bestimmungen. Der EuGH stellt mittels Beschluss fest, dass die unterschiedlichen Altersgrenzen eine unmittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts darstellen. Männer und Frauen befinden sich hinsichtlich des Zieles dieser Bestimmung, nämlich die Festlegung der Voraussetzungen, unter denen das Arbeitsverhältnis der betreffenden Arbeitnehmer:innen beendet wird, in einer vergleichbaren Situation. Unmittelbare Diskriminierungen auf Grund des Geschlechts können nicht mit der Absicht gerechtfertigt werden, dass die betreffenden Arbeitnehmer:innen mit keiner plötzlichen restriktiven Änderung der früheren Regelung für die Weiterbeschäftigung konfrontiert werden sollen.
Stillende Arbeitnehmerin und mittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts (EuGH v. 19.10.2017, C 531/15, Elda Otero Ramos gegen Servicio Galego de Saúde, Instituto Nacional de la Seguridad Social)
Frau Ramos arbeitet als Krankenschwester in einer spanischen Universitätsklinik in der Notaufnahme. Sie bekommt ein Kind. Sie erstattet bei ihrem Arbeitgeber einen Antrag auf Umgestaltung der Arbeitsbedingungen und vorbereitende Maßnahmen, weil sie ihr Kind stillt und die Ausübung ihrer Tätigkeit negative Auswirkungen haben könnte und sie jedenfalls einem Gesundheitsrisiko aussetzt. Ihr Antrag wird von ihrem Arbeitgeber mit der Begründung zurückgewiesen, dass durch die Ausübung der Tätigkeit an diesem Arbeitsplatz kein Risiko für Frau Ramos und ihr Kind bestünde. Daraufhin stellt Frau Ramos einen Antrag bei der Regionaldirektion der Klinik für eine Bescheinigung des Gesundheitsrisikos an diesem Arbeitsplatz. Auch dieser wird zurückgewiesen, unter anderem mit der Begründung, dass der Arbeitsplatz in der von der Klinik selbst erstellten Liste „risikofreier Arbeitsplätze“ aufgeführt ist. Frau Ramos bringt eine Klage beim Sozialgericht ein, gestützt durch ein Schreiben der Leiterin der Notaufnahme, welches auf ein bestehendes Risiko hinweist. Das Sozialgericht weist die Klage ab, da Frau Ramos keinen Nachweis erbracht habe, dass ein Risiko besteht. Außerdem würden in vergleichbaren Rechtsstreitigkeiten strenge Anforderungen an die Beweiswürdigung hinsichtlich des Bestehens eines Risikos als Voraussetzung für einen Anspruch gestellt. Das Rechtsmittelgericht stellt ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), worin es die Fragen geklärt haben möchte, ob und in welcher Weise in einem solchen Fall die Beweislastregeln der Richtlinie 2006/54/EG zur Anwendung gelangen.
Der EuGH führt aus, dass eine nicht gemäß den Anforderungen der Richtlinie 92/85/EWG entsprechende Risikobeurteilung eines Arbeitsplatzes einer stillenden Arbeitnehmerin eine ungünstigere Behandlung einer Frau im Zusammenhang mit Schwangerschaft oder Mutterschaftsurlaub und damit eine unmittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts im Sinne der Richtlinie 2006/54/EG darstellt. Aus diesem Grund finden die Beweislastregeln dieser Richtlinie auch Anwendung auf eine Situation, in der eine Frau aus dem genannten Grund die Risikobeurteilung ihres Arbeitsplatzes anficht. Die Arbeitnehmerin muss Tatsachen für eine unmittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts glaubhaft machen, weil keine den Anforderungen der Richtlinie 92/85 entsprechende Risikobeurteilung vorgenommen wurde. Eine Risikobeurteilung genügt den Anforderungen jedenfalls nur, wenn eine spezifische Prüfung die spezielle Situation der betreffenden Arbeitnehmerin berücksichtigt. Der beklagten Partei obliegt es dann zu beweisen, dass die Risikobeurteilung entsprechend dieser Anforderungen durchgeführt wurde und keine Diskriminierung vorliegt.
Geschlechtsspezifische Körpergrößen als Einstellungskriterium für den Eintritt in den Polizeidienst sind diskriminierend (EuGH v. 18.10.2017, C-409/16, Ypourgos Esoterikon, Ypourgos Ethnikis paideias kai Thriskevmaton gegen Maria-Eleni Kalliri)
Der Zugang zu den Schulen für Offizier:innen und Polizist:innen der Polizeiakademie ist entsprechend einer griechischen Regelung für Männer und Frauen erst ab einer Körpergröße von 1,70 m zulässig. Frau Kalliri klagt, weil ihr die Zulassung zum Auswahlverfahren für diese Ausbildung aufgrund ihrer Körpergröße von 1,68 m verwehrt wird.
Der Europäische Gerichtshof stellt in diesem Fall fest, dass diese Bestimmung eine Diskriminierung auf Grund des Geschlechts darstellt. Da eine höhere Zahl von Frauen als von Männern weniger als 1,70 m groß ist, führt die Regelung zu einer mittelbaren Diskriminierung von Frauen. Diese kann auch nicht gerechtfertigt werden.
Es ist zwar als legitimes Ziel anzusehen, wenn das ordnungsgemäße Funktionieren der Polizei gewährleistet werden soll, jedoch erfordern nicht alle Tätigkeiten der Polizei die Anwendung körperlicher Gewalt und verlangen besondere körperliche Fähigkeiten. Auch ist nicht ersichtlich, dass eine solche Eignung zwangsläufig mit dem Besitz einer Mindestkörpergröße verbunden ist. Die Bestimmung wird als überschießend gewertet, weil spezifische Tests zur Überprüfung der körperlichen Fähigkeiten geeigneter sind, die Eignung festzustellen, als eine starre Körpergröße einzuführen, die auf Frauen benachteiligend wirkt.
Zulässigkeit der automatischen Beendigung von Gelegenheitsarbeitsverhältnissen mit Erreichen des fünfundzwanzigsten Lebensjahres (EuGH v. 19.7.2017, C-143/16, Abercrombie & Fitch Italia Srl gegen Antonino Bordonaro)
Herr Bordonaro ist im Rahmen eines Gelegenheitsarbeitsverhältnisses beschäftigt. Dieses endet automatisch, als er das fünfundzwanzigste Lebensjahr erreicht. Diese Rechtsfolge ist vom nationalen Recht für solche Arbeitsverhältnisse vorgesehen. Er klagt, weil er der Meinung ist, dass diese Beendigung eine Diskriminierung aufgrund des Alters darstellt.
Der Europäische Gerichtshof sieht durch die nationale Regelung eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Alters verwirklicht, die jedoch gerechtfertigt ist. Es kann als legitimes Ziel angesehen werden, die Situation jüngerer Menschen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern, um ihre berufliche Eingliederung zu fördern. Insbesondere stellt die Erleichterung der Anstellung jüngerer Arbeitnehmer durch Erhöhung der personalwirtschaftlichen Flexibilität ein legitimes Ziel dar.
Die nationale Regelung ist auch angemessen, da sie, weil weniger belastend und weniger kostspielig als der gewöhnliche Arbeitsvertrag, für Unternehmen Anreize schaffen kann, so dass diese eher auf Bewerbungen jüngerer Arbeitnehmer eingehen. Der Staat durfte sie aufgrund seines weiten Ermessensspielraums auch als erforderlich ansehen, da die Unternehmen so die Möglichkeit haben, einer größeren Anzahl jüngerer Menschen den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern, als wenn die Arbeitsverhältnisse dauerhaft wären.
EuGH v. 19.7.2017, C-143/16, Abercrombie & Fitch Italia Srl gegen Antonino Bordonaro
Verbot von politischen, philosophischen und religiösen Zeichen am Arbeitsplatz (EuGH v. 14.3.2017, C-157/15, Samira Achbita gegen G4S Secure Solutions NV)
Frau Achbita, die in einem privaten Unternehmen, das für Kunden im privaten und öffentlichen Sektor Rezeptions- u. Empfangsdienste leistet, als Rezeptionistin arbeitet, wird aufgrund ihrer Weigerung, ihr Kopftuch abzulegen, gekündigt. Im Unternehmen gibt es die interne allgemeine Regel, dass keine politischen, philosophischen oder religiösen Zeichen getragen werden dürfen. Frau Achbita sieht darin eine Diskriminierung aufgrund der Religion.
Der Europäische Gerichtshof hält fest, dass diese Regelung keine unmittelbare Diskriminierung begründet, da alle Beschäftigten gleich behandelt werden. Das Vorliegen der Voraussetzungen einer mittelbaren Diskriminierung ist vom nationalen Gericht zu prüfen.
Der Wunsch des Unternehmens nach Neutralität stellt jedoch ein legitimes Ziel dar und gehört zur unternehmerischen Freiheit, verankert in Art 16 Grundrechtecharta. Die zu beurteilende interne Regel ist auch geeignet, dieses Ziel zu erreichen, sofern eine kohärente und systematische Unternehmenspolitik betrieben wird und allen Beschäftigten mit Kundenkontakt solche Zeichen verboten sind. Ob die Maßnahme auch erforderlich ist, ist vom nationalen Gericht zu prüfen. Insbesondere ist zu prüfen, ob die Anwendung der Regel nur auf Beschäftigte mit Kundenkontakt beschränkt ist und ob das Angebot eines anderen Arbeitsplatzes ohne Kundenkontakt im Betrieb zumutbar gewesen wäre.
EuGH v. 14.3.2017, C-157/15, Samira Achbita gegen G4S Secure Solutions NV
Kopftuch als Kündigungsgrund (EuGH v. 14.3.2017, C-188/15, Asma Bougnaoui gegen Micropole SA)
Frau Bougnaoui, die als Softwaredesignerin angestellt ist, wird von ihrem Arbeitgeber gekündigt, weil sie sich auf Wunsch eines Kunden weigert, ihr Kopftuch abzunehmen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) sieht darin eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund der Religion.
Er führt aus, dass ein Merkmal, das unter anderem mit der Religion im Zusammenhang steht, nur unter sehr begrenzten Bedingungen eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellen kann. Dieses betreffende Merkmal kann eine solche Anforderung nur „aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung“ darstellen. Der Begriff „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ verweist auf eine Anforderung, die von der Art der betreffenden beruflichen Tätigkeit oder den Bedingungen ihrer Ausübung objektiv vorgegeben ist.
Der EuGH betont, dass Kund:innenwünsche keine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung im Sinne der Richtlinie 2000/78/EG darstellen können, um von einer Arbeitnehmerin das Ablegen des muslimischen Kopftuches zu verlangen.
EuGH v. 14.3.2017, C-188/15, Asma Bougnaoui gegen Micropole SA
Nichtgewährung einer Hinterbliebenenversorgung an den Lebenspartner wegen einer Stichtagsregelung ist nicht diskriminierend (EuGH v. 24.11.2016, C-443/15, David L. Parris gegen Trinity College Dublin, Higher Education Authority, Department of Public Expenditure and Reform, Department of Education and Skills)
Das betriebliche Altersversorgungssystem eines irischen Arbeitgebers sieht eine Rente für Arbeitnehmer:innen sowie eine Hinterbliebenenrente für Ehegatten und für Eingetragene Partner vor. Voraussetzung für die Gewährung ist, dass die Ehe oder die Partnerschaft vor Vollendung des sechzigsten Lebensjahres geschlossen wurde.
Herr Parris ist Teil des betrieblichen Altersversorgungssystems und schließt mit dreiundsechzig Jahren eine Lebenspartnerschaft in einem anderen Mitgliedstaat, weil es in Irland diese Möglichkeit noch nicht gibt. Zum Zeitpunkt der Erlassung des Lebenspartnerschaftsgesetzes in Irland ist er bereits in Rente. Nach Anerkennung seiner Partnerschaft in Irland beantragt er die Feststellung auf Anspruch einer Hinterbliebenenrente für seinen Partner. Dieser Antrag wird abgelehnt, weil Herr Parris die Eingetragene Partnerschaft nach Vollendung seines sechzigsten Lebensjahrs geschlossen hat. Herr Parris fühlt sich diskriminiert und bringt Klage ein, die vom Erstgericht abgewiesen wird.
Das Berufungsgericht legt dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor. Dieser qualifiziert die Leistung aus dem Versorgungsfonds als Entgelt und sieht den Anwendungsbereich der Richtlinie (RL) 2000/78/EG eröffnet. Er schließt jedoch sowohl eine unmittelbare als auch eine mittelbare Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung aus. Die Voraussetzung für die Gewährung der Altersrente gilt für beide Formen der Lebensgemeinschaft, das Unionsrecht verpflichtet Irland jedoch weder dazu, die Ehe oder eine andere Form des zivilrechtlichen Lebensbundes für homosexuelle Paare vorzusehen noch dem Lebenspartnerschaftsgesetz Rückwirkung zu verleihen.
Der EuGH kann auch keine Diskriminierung aufgrund des Alters erkennen, da die Ausnahmebestimmung des Art 6 Absatz 2 RL 2000/78/EG greift, die die Mitgliedstaaten dazu ermächtigt, bei betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit Altersgrenzen vorzusehen. Er betont, dass eine Diskriminierung auf mehreren Gründen beruhen kann, lehnt jedoch das Bestehen einer Diskriminierungskategorie, die sich nur aus der Kombination mehrerer Gründe ergibt, ab.
Einstellungskriterium Höchstalter fünfunddreißig Jahre für den Eintritt in den Polizeidienst ist zulässig (EuGH v. 15.11.2016, C-258/15, Gorka Salaberria Sorondo gegen Academia Vasca de Policía y Emergencias)
Eine spanische Regelung sieht für den Eintritt in die nationale Polizei vor, dass Bewerber:innen zwischen achtzehn und fünfunddreißig Jahre alt sein müssen. Ein spanischer Bürger hält die Bedingung des Höchstalters von fünfunddreißig Jahren im Rahmen eines Auswahlverfahrens für die Einstellung von Beamten der Polizei für rechtswidrig. Das nationale Gericht lässt diese Regelung vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) prüfen.
Der EuGH stellt keine Rechtswidrigkeit fest und führt aus, dass die Bestimmung zwar eine unmittelbare Ungleichbehandlung aufgrund des Alters enthält, diese jedoch gerechtfertigt werden kann.
Das Vorhandensein besonderer körperlicher Fähigkeiten ist eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung, um die wesentlichen Aufgaben der Polizei zu erfüllen, die in der Gewährleistung des Schutzes von Personen und Sachen, der freien Ausübung der Rechte und Freiheiten einer jeden Person, und der Sicherheit der Bürger bestehen. Das Bemühen, die Einsatzbereitschaft und das ordnungsgemäße Funktionieren der Polizei zu gewährleisten, stellt einen rechtmäßigen Zweck dar.
Es wurde vorgebracht, dass ab dem vierzigsten Lebensjahr ein Leistungsrückgang zu verzeichnen sei, ältere Beamte nicht mehr überall einsetzbar seien und aufgrund der Personalstruktur Vorkehrungen für einen schrittweisen Ersatz der ältesten Beamten durch jüngeres Personal zu treffen sei. Aufgrund dessen ist die Regelung als angemessen und als zur Erreichung dieses Ziels erforderlich anzusehen.
EuGH v. 15.11.2016, C-258/15, Gorka Salaberria Sorondo gegen Academia Vasca de Policía y Emergencias